04 - 06 - 2014


Wir sind da - in Bamako (Mali) - es ist heiss: 35°+. Am Flughafen sind viele UN Soldaten, nette malische Offizielle, aufgeregte Händler, die SIM Prepaid Karten etc. verkaufen.

Wir sind bei Julien Chauvet, einem NGO-Arbeiter im Quartier Hippodrome untergekommen. Im schönen Vorgarten lebt unser Wach-Affe („George“).

Gestern Abend waren wir auf der Rue Bla Bla (ja, so heisst sie!) ein paar Bier trinken und gegrilltes Huhn mit einer extrem leckeren, sehr scharfen Chili-Soße essen, deren Rezept „über Jahrtausende unverändert von Generation zu Generation überliefert wurde, ohne jemals aufgeschrieben worden zu sein.“ Genau diese Musik suchen wir.

Heute Morgen haben wir Sidibe Boss getroffen - unseren Guide für Bamako. Er arbeitet mit internationalen Musikproduzenten zusammen und hilft Ihnen, Musiker für Ihre Projekte zu finden. Wir haben ihn gebeten, uns zu so vielen Konzerten wie möglich zu bringen. Und wir wollen u.a. den Balafonisten von Ben Zabos Band treffen, den Schneider schon mal in Berlin gesehen hat.

Alle reden vom Krieg im Norden, der den Tourismus in Mali komplett zum Erliegen gebracht hat. Sidibe hat sein Geld früher mit Touristengruppen verdient, heute führt er Krisen-Journalisten nach Tambouctou, Gao und Kidal.

Am Ende des ersten, vollen Tages in Bamako, haben wir das Gefühl, schon eine ganze Woche hier zu sein. Die Eindrücke sind sehr intensiv und zahlreich.

Wie haben verschiedene Musikgruppen gesehen und gehört (u.a. im „District of Bamako“), mit denen Dirk teilweise spontan improvisiert hat. Wir waren auf dem „Marché du féticheures“, auf dem von unzähligen toten Tieren wie Schlangen, Insekten, Affen, Raubkatzen, Hyänen oder Eseln deren Köpfe und andere Körperteile verkauft wurden. Ein sehr spezieller Geruch lag in der Luft. Und auf dem Kunstmarkt: Wir hatten das Gefühl, die einzigen Touristen seit vielen Wochen oder Monaten auf diesem Markt zu sein und wurden dementsprechend aufmerksam auf diverse Produkte wie Ketten, Instrumente, Autoreifenschuhe, Kolanüsse (lecker und Energie spendend!) und verschiedene Holzprodukte von Stühlen bis Nilpferdskulpturen hingewiesen.

Nachts waren wir im Coin Rouge, einem der nahe gelegenen lokalen Clubs mit fettem Soundsystem. Dort spielte die Saba Woussouf Group, bestehend aus einem E-Gitarristen, 5 Trommlern mit senegalesischen Saba Trommeln, die mit einer Hand und einem Stock gespielt werden (wirkliche Stöcke, im Sinne von Zweigen) und 4 Tänzerinnen.

Der polyrhytmische Wahnsinn der Trommler steigerte sich regelmäßig simultan mit den hochenergetischen Bewegungen der Tänzerinnen, die Auge in Auge mit dem ersten Trommler kommunizierten. Man weiß nicht wer auf wen reagiert bei diesem extrem  hohen Energieaufkommen.

Am Ende kam auch der Gitarrist noch voll aus sich heraus, indem er - an Hendrix erinnernd - sein Instrument phallisch oder in Gewehranschlag bearbeitete.

>> http://www.youtube.com/watch?v=y2OjpFp4tCQ

Früh morgens hat Sidibe Boss, den jeder in Bamako zu kennen scheint, noch einen Schneider TM DJ Gig für den 28. Juni im Coin Rouge klargemacht.



05 - 06 - 2014


Heute morgen musste unser Haus-Affe George zum dritten mal von seiner selbstverursachten Fesselkunst befreit werden, die ihm einen unangenehmen Aktionsradius von lediglich 35 cm gewährte. Außer uns scheint sich niemand daran zu stören.

Wir fahren auf die andere Seite des Nigers. Der Fluss ist sehr breit, ohne erkennbare Strömung und an beiden Ufer sind weite Feuchtgebiete, in denen Wäsche gewaschen wird und Ziegen grasen.

Wir besuchen das Studio Mali. 2002 von Konan Kouassi und Paul Chandler gegründet. Hier sind viele wichtige Alben produziert worden und die Musik der Wüste mit der urbanen Musik Westafrikas immer wieder zusammengeführt worden. >> http://www.studiomali.com Konan ist ein freundlicher, sehr kompetenter Produzent und Toningenieur. Er nahm auch das neue Album von Samba Tourè auf, dessen „Hit“ Schneider geremixt hat. Schneider spielt Konan seinen „Cockpit Dub“ vor, aber wir können nicht wirklich sagen, ob es ihm gefällt. Konan spielt uns seine letzten Produktionen vor. Total begeisternd sind die beiden Alben von Lamine Traorè, der, verheiratet mit einer Japanerin, afrikanische Musik mit japanischen Elementen mixt. Superspannend. Konan erzählt, dass das Geschäft nicht gut läuft: Immer mehr junge Gruppen nehmen einfach mit dem Telefon auf und sparen sich die Investition in eine aufwendige Studioaufnahme.

Wir versuchen den Balafonisten von Ben Zabos Band zu treffen, aber er ist gerade nicht in der Stadt. Am Samstag spielt Ben Zabo aber in einem Club. Darauf freuen wir uns sehr.

Nach dem Gewitter in der Nacht lastet über der Stadt eine schwere Schwüle.

Wir gehen in das „beste Internetcafe“ in Bamako mit Satelliten-Verbindung, um die Homepage hochzuladen.

Trotzdem ist die Verdindung so lahm wie ein 56K Modem.

Freitag und Samstag liegen lange Nächte vor uns und wir entscheiden uns für einen ruhigen Abend auf der Terasse, sortieren die Videos und Fotos und Karim (der Adoptivsohn unseres Vermieters) bringt uns noch ein bißchen mehr Bambara bei.



06 - 06 - 2014


Nach den zwei großen Regenschauern in der Nacht sind die Mücken da. Die Moskitonetze halten nicht an der wackligen Decke und fallen immer wieder runter. Aufstehen und wieder ranfriemeln oder einfach weiterschlafen?

Zum Frühstück gehts ins „Le Relax“, ein libanesisch-französisches Cafe mit sehr hohem Standard für lokale Verhältnisse. Bei jedem Besuch sehen wir deutsche Bundeswehrsoldaten, ungelenk in ihrem Wüsten-Flecktarn und der Pistole am Bein.

Obwohl wir erst 2 Tage da sind haben wir so viel bitterste Armut gesehen, dass die französischen Patisserie-Theke im Cafe mit Sahneschnittchen und Torten auf uns fast pervers wirkt.

Nach Norden wird Bamako von zwei Bergen begrenzt. Auf dem einen ist der weitläufige, strahlendweiße Präsidentenpalast, auf dem anderen, dem „Point G“, die Sendestation von TV Mali und ein menschenleerer, brandneuer Fitness-Parcour mit Blick über die Stadt - wir machen uns fit für den Tag.

>> http://youtu.be/ZOg4EbSItgk

Philippe, der Manager von Samba Touré, ist krank, also fahren wir stattdessen ins Musee National du Mali. Wir sind die einzigen Besucher und das auch schon seit längerer Zeit.

Das Museum ist klein, aber die Masken- und Fetischabteilung ist beeindruckend:

Wunderschöne Statuen - ausdrucksstark, wie wir es selten gesehen haben. Dann kommt der düstere Abschnitt mit Dogon Masken und Fetischen. In zwei Vitrinen sind Kono-Fetische der Dogon: ein unheimlicher Monsterkopf mit Hörnern und Stachelschweinborsten, und ein „doubleface“ mit zwei geöffneten Mäulern.

Bevor wir an den Fetisch herantreten, spricht Sidibe ganz kurz, leise und eindringlich mit dem „doubleface“.

Er erzählt uns über die Wucht und Macht, die diese Fetische haben können... Wir verlassen beeindruckt das Museum und fahren über den Fluss, erst durch ein Viertel mit Botschaften (auch der deutschen) und kleineren Bürogebäuden (die Friedrich Ebert Stiftung hat hier ihr Gebäude mit drei Meter Mauer, Nato-Schneidedraht und Wachleuten).

Am Ende der Straße beginnt ein Hüttengewirr - eine junge Frau führt uns über schlammige Wege, vorbei an kleinen Ziegengattern und Schlafhütten, zu einer Tiefkühltruhe. In der Truhe sind Eisblöcke und riesige Flusswelse, die „Capitaines“, aus dem Niger.

Wir kaufen einen Wels für das Abendessen.

Am Ufer des Niger spielen die Kinder mit Ziegen und baden. Long Boats liegen am Ufer.

Auf dem Rückweg steht plötzlich mitten auf der Kreuzung ein weiß angmalter Pantomime mit einem auf die Brust gemalten African Union Wappen. Alle finden es super.

Zuhause kocht Sidibe den Fisch mit einer traumhaft-leckeren Gemüsesoße.

Wir legen uns nochmal kurz hin, und um 23:00 geht es wieder raus in die Freitagnacht von Bamako.

Zuerst ins „Sira“, eine Open Air Bar, die von einem Franzosen betrieben wird. Ein schöner Ort unter freiem Himmel, relaxed, viele Weiße, aber nicht die übliche Backpacker Crowd, sondern gut angezogene, junge Franzosen, die Rotwein trinken und auf uns wie ein unzugängliches, seltsames postkoloniales Überbleibsel wirken - es sind Boschafts- und UN-Mitarbeiter. Wir fühlen uns an die Szene in der französischen Kolonialplantage aus dem Director's Cut von Apocalypse Now erinnert.

Die Band spielt europäisierte Afrikamusik, ist nicht wirklich bei der Sache und wir ziehen bald weiter. Wieder ins Coin Rouge.

Der Sound und die Qualität der Band, die heute im Coin Rouge spielt, ist so offensichtlich besser. Schneider sagt: „Tight spielen bedeutet nicht, genau zu spielen, sondern pünktlich zu sein. Präzision hat mehr damit zu tun, das richtige im richtigen Moment zu spielen, als immer auf dem Takt zu landen.“

Die Band hat Drums, Bass, drei Gitarren, Kora, die Musiker wechseln sich an den Gitarren ab.

Der Sänger ist älter, Rastafarian, aber ohne Dreads und Flaggen und er singt mit diesen arabischen Trällern, das man von manchen Touareg-Aufnahmen kennt.

Das Konzept des Abends ist: Die Band groovt wie Hölle und der Sänger und ein zweiter MC gehen von Tisch zu Tisch und improvisieren über die Gäste, insbesondere über deren Qualitäten: Wie gut sie aussehen, wie schön sie angezogen sind, dass bald das große Glück in ihrem Leben kommen wird, usw. Und zwar wird solange gesungen bis der Besungene bezahlt.

Wirklich schön.

Wir essen kleine Rindfleischspieße mit Zwiebeln und scharfer Soße vom Straßengrill, sensationell lecker.

Dann fahren wir in den „Obama Club“, einen Hotspot für die jungen Leute in Bamako. Obama, Martin Luther King, Nelson Mandela und Bob Marley als Grafitti an der Wand.

Teens auf dem Dancefloor, die zu afrikanischen Samba-Remixen tanzen, später dann zu Bob Marley und Tiken Jah Fakoly.



07 - 06 - 2014


Der Mietwagen ist kaputt: Ein Wort zu den Autos in Mali: 95% aller PKWs in Bamako sind Mercedes 190 D. In allen schönen Farben der 80er und frühen 90er: Goldmetallic, Pflaumenmusmetallic, Champagnermetallic. Die 190er Modelle sind 1993 ausgelaufen und wenn man davon ausgeht, das die meisten Wagen schon reparaturbedürftig hier ankamen und die, die nicht mehr repariert werden können zu Ersatzteilen für die anderen werden, kann man davon ausgehen, dass inzwischen fast jeder Mercedes in Mali mit jedem anderen verwandt ist.

Der Miet-Mercedes von Sidibe musste die letzten Tage schon mit Hammer und Zange gestartet werden und heute fuhr er gar nicht mehr.

Stattdessen: Motorrad und Mofa. Schneider fährt den Yamaha Nachbau mit Arved hinten drauf und Sidibe mit Julian die kleine chinesische KTM.

Der Verkehr ist chaotisch, aber nicht unangenehm, alle achten aufeinander.

Wir fahren zum Niger am östlichen Ende der Stadt. Die Chinesen haben hier 2002 die dritte Brücke der Stadt gebaut. Eine hohe Autobahnbrücke auf massiven, riesigen Betonständern.

Während wir darauf zufahren beginnt Sidibe auf dem Mofa versteckt zu beten und macht mit der einen Hand Bewegungen.

Das Flußbett ist sehr weit, bestimmt 3 Kilometer, und ist fein geschliffenes, uraltes Vulkangestein.

Kleine Teiche, Sträucher in denen Myriaden von Plastiktüten hängen, und mehrere tiefer eingeschnittene Nebenflüsse des Niger. In der Mitte dieser unwirklichen Landschaft, fast unter den Pfeilern der Brücke, stehen vier jahrhundertealte, runde Steinhütten in denen sehr wichtige Sufis und Morabous arbeiten.

Auf dem Weg über den alten zerfallenen Weg, der vom Ufer dort hin führt, geht man an Opferaltären für Fetische vorbei: Verbrannte Eierschalen, zerschlagene Rotweinflaschen, Tierknochen.

Auf den schwarzen Steinen sind mit weißer Farbe Kreuze gemalt, oder „ALAKIRA“ (ALA=Alah; KIRA=Der Prophet) oder „Violence ALAKIRA“

Über einen der Nebenflüsse führt eine alte Brücke unter der tausende von Schwalben ihre Nester haben. Sidibe betet am Fluss - es erinnert an Rap.

Danach setzen wir im Garten vom Hotel Tamala. Sehr nettes kleines Hotel. Wir hätten hier schlafen sollen. (Auch wenn unserer Unterkunft billiger ist, wird’s da manchmal echt anstrengend: Schneider hatte beim Abstellen seines Koffers in seinem Zimmer aus Versehen eine ziemlich große Kakerlake erschlagen - Wohnung und Kühlschrank sind extrem dreckig und unhygienisch.)

Um 8 Uhr treffen wir Paul Chandler in der Bla-Bla-Bar, der teuersten Bar Bamakos: Eiskalt temperiert, voll mit den Franzosen des Vorabends und unterschiedlichen Uniformierten. (Wie kommt jemand auf die Idee zum Trinken an einem zivilen Ort eine Uniform anzuziehen, die der Unterscheidung von Kämpfern in kriegerischen Auseinandersetzungen dient, bzw. der Organisation militärischer Verbände?)

Paul Chandler und seine Produktionsleiterin und Fotografin Anza sind ausgesprochen liebenswürdig und hilfsbereit. Paul hatte zusammen mit Konan das Studio Mali gegründet, das aber im Moment nicht mehr gut genug läuft. Er arbeitet als Lehrer an der International School of Bamako und organisiert viele Projekte: Ein reconcilliation-concert Programm mit 20 lokalen Festivals im Norden Malis in den nächsten zwei Jahren, und jetzt hat er gerade 80 Gitarren in seinem Haus gesammelt, um sie - als Währung/ Bezahlung - an Musiker weiterzugeben: >> http://www.studiomali.com

Wir fahren mit ihm ins „Savana“, einem Maquis (Open Air Restaurant mit Livemusik.)

Baba Salah spielt mit seiner Band. Musik aus Gao, dronige Wüstenmusik.

Paul produziert sie und stellt uns der Band vor und sie laden Schneider ein, mit ihnen zu spielen.

Wir können nicht wirklich erkennen, ob die Musiker das gerne machen, oder es nur ein Gefallen für Paul ist. Aber Schneider springt mit viel Mut in diese Situation, bekommt die Rhythmus-Gitarre. Baba kündigt ihn sehr nett an, fragt ihn, ob er Ali Faka Tourè kennt, Schneider bejaht, fragt kurz nach der Tonart und spielt los.

Schneider spielt wirklich gut, legt ein paar Riffs hin und in der Abmoderation spricht Baba ihm seine Hochachtung aus.

Sidibe fährt mit uns auf die andere Nigerseite zu Tiken Jah Fokolys Club „Radio Libre Bamako“

>> https://www.facebook.com/pages/Radio-Libre-Bamako/145947002113503

Viele, viele Autos auf dem Parkplatz.

Eintritt 1000 FCFA ein Innenhof mit dreistöckigen neuen Häusern umbaut. Überall die Köpfe der Helden: Kwame N'Krumah, Thomas Sankara, Malcom X, Nelson Mandela, Haile Selassie.

Und Fotos von Tiken Jah mit Bono, mit Peter Gabriel, etc.

Wir gehen zuerst in den unteren Club. Hier spielt jeden Samstagabend Ben Zabo mit Band.

Das Setting ist ungewohnt: superneuer, loungiger Club. Die vielleicht 20 Besucher verlieren sich ein wenig darin, davon stehen acht oder neun vor der Tanzfläche im Kreis und bewegen sich langsam und gepflegt zu superfunkiger Musik.

Ben Zabo ist ein Bühnentier: ein hochenergetischer, strahlender Bandleader, groß und schlaksig in weiter brauner Anzughose und tradtionellem Hemd. Er begrüßt uns sehr warmherzig, Schneider hat ihn vor einem Jahr bei seinem Konzert im Berghain in Berlin gesehen. Die Kantine vom Berghain war ausverkauft und 300 Leute sind zu Ben Zabo total ausgeflippt. Hier spielt er in einem kleinen, halbleeren Club einmal die Woche und die Leute unterhalten sich dabei.

Wir gehen am Aufnahmestudio und einem kleinen Shop mit Rasta-Mode in den zweiten Stock.

Viel größerer Floor, vielleicht so groß wie das Berliner Lido an der Schlesischen Straße.

Komplett bestuhlt und rammelvoll. Auf der Bühne eine Band und zwei oder drei MCs. Vor der Bühne stehen 2 Tänzerinnen und 2 Tänzer mit Blick zum Publikum. Es ist wieder eine „Lounger“, wie am Abend zuvor im Coin Rouge besingen die MCs die Qualitäten eines Besuchers und bekommen dafür Geld.

Aber hier ist das ganze in einem viel größeren und weniger traditionellem Rahmen als beim Coin Rouge.

Eine anwesende Fußballmannschaft wird besungen (und betanzt) dann kommen sie alle auf die Bühne und geben der Sängerin Geld. Die schmale, kleine Sängerin ist hochschwanger, Zwillinge und im 11. Monat, so sieht sie aus. Sie nimmt das Geld küsst es, wirft ihr Kleid, vorne und hinten hoch und besingt halb-betend das Glück und die Geschicke des Fußballvereins.

Dann wird ein spezieller Kunde in der ersten Reihe gewürdigt. Die Tänzer tanzen zu ihm hin. Die Sängerin singt: „Er ist ein starker, erfolgreicher Mann, der uns letzten Samstag 300.000 FCFA (450,-€ ,Preis eines Motorrads) gegeben hat. Er kommt aus Mopti und war dort schon sehr erfolgreich und viel geliebt. Jetzt kommt er nach Bamako und wird Reichtum und Wohlstand nach Bamako bringen. Am Samstag vor zwei Wochen hat er uns auch 300.000,- FCFA gegeben, ...“ Insgesamt hatte der Mann 2 Millionen FCFA (3000,-€) in den letzten Wochen dieser Band gegeben.

Sidibe erklärt, dass viele Leute das an sich einfach toll finden, wenn eine coole Band über sie singt, manche werden richtig süchtig, aber es ist für viele auch eine Marketing-Investition: Zum Beispiel der oben beschriebene Kunde aus Mopti ist so innerhalb weniger Wochen in ganz Bamako als erfolgreicher Geschäftsmann und cooler Hunde bekannt geworden.

Lustiges Geschäftsmodell, absolut export-würdig. Wir diskutieren, ob und wenn ja welcher existierenden deutschen Band wir 2500,- € geben würden, damit sie auf einem Konzert fünf Minuten über uns singen. Arved: Rammstein, Schneider: DAF, Julian: Tocotronic.

Es ist super spät, als wir wieder zu unserer Unterkunft fahren. Das Taxi hat keinen Auspuff mehr und wir fliegen auf einer Wolke von polyrhythmischen Subbässen über den schwarzen Niger.



08 - 06 - 2014


Morgens um 5 sind wir nach ca. 2 Stunden Schlaf aufgestanden und von Sidibe Boss zu dem Reisebus gebracht worden, der uns in den nächsten 10 Stunden von Bamako durch halb West Afrika nach Bobo-Dioulasso bring. Der Bus ist komplett ausgebucht und die Atmosphäre extrem entspannt im Vergleich z.B. zu Farten mit dem ICE durch Deutschland. Die zahlreichen Kinder auf den Schößen ihrer Mütter und sonstigen Verwandten chillen oder lachen uns interessiert an. Je ländlicher die Gegend wird, umso schöner und aufgeräumter werden die Dörfer, die hauptsächlich von  offenen Gemeinschafts-Überdachungen, kleinen Moscheen, Schulkomplexen mit großen Innenhöfen, runden Hütten mit Strohdächern und kastenartigen Gebäuden mit Wellblechdach in Lehmbauweise geprägt sind. Am Straßenrand wird, wie auch in der Großstadt Bamako, alles Erdenkliche feilgeboten. Man sieht Nutztiere wie Esel, Hühner, Ochsen, Ziegen, Schafe etc. und kleine Stände mit Getriebeöl für die tausende von Motorrädern und Mopeds. Die Natur ist extrem grün und erinnert an den Garten Eden, so wie er uns als Kindern in Bilderbüchern vermittelt wurde. Vor fast allen Häusern stehen Mercedes Benz 190 D und gleichzeitig sieht man existentielle Armut.

Nach ca. 6 Stunden erreichen wir die Grenze zu Burkina Faso, wo wir während des gesammten Einreiseprozesses insgesammt 5 Mal aus dem Bus aus- und wieder einsteigen und zwischendurch immer ein paar Meter weiterfahren. Währenddessen kaufen wir Nüsse, Getränke, Bananen und versuchen zu rauchen. Doch nach 2 Zügen müssen wir schon wieder einsteigen um gefühlte 30 Meter bis zum nächsten Checkpoint zu fahren. Die eigendliche Pass- und Visakontrolle verläuft extrem entspannt. Die burkinabe Grenzbeamten reißen ein paar Witze auf Deutsch über uns und wir sitzen in Liegestühlen im Schatten eines Strohdachs, während wir auf die Stempel warten.

In Burkina Faso werden die Dörfer am Straßenrand immer pittoresker und die Erde immer roter. Wenn man Menschen in der Mittagshitze sieht, beackern sie Felder oder sitzen im Schatten.

Kinder spielen Fußball oder hüpfen lachend einfach nur so herum.

Wir hatten eigendlich einen ganz anderen ersten Eindruck von Burkina Faso erwartet, nach dem was uns in Mali erzählt wurde. Nach weiteren Stunden Fahrt durch atemberaubende Natur fast ohne Plastikmüll erreichen wir Bobo-Dioulasso. Hier geht es mit ca. 500.000 Einwohnern etwas entspannter zu als in Bamako mit ca. 3,5 Millionen. Ismael, der Taxifahrer, der uns von unserer Unterkunft zum Abholen vom Bus geschickt wurde, begrüßt uns mit lautem Lachen, Schulterklopfen und einer Reihe von Witzen auf Englisch. Wir fragen ihn nach Balafonisten und Konzerten. Er gibt uns grobe Auskunft über die reichhaltige lokale Musik-Szene und empfiehlt einen Trip nach Gaoua, dem Zentrum der Lobi Gemeinschaft mit extrem guten Balafonisten. Ich (Schneider) frage ihn ob er Hien Bihoulete kennt, einen der vielleicht noch lebenden Balafonisten aus Gaoua, der auf beiden CDs spielt die der Ausgangspunkt dieser Reise sind und nach kurzem Überlegen sagt er: ,Klar, natürlich, der spielt immernoch jedes Wochende in Gaoua.‘ Ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll und denke, es handele sich vielleicht um ein namentliches Missverständnis aufgrund meiner schlechten französichen Aussprache.

Wir checken in das B&B Villa Bobo ein und fühlen uns sofort zuhause. Abends gehen wir in ein Maquis (großer Hof mit Küche, Bühne & Soundsystem), um etwas zu essen. Später findet dort ein Hip-Hop Konzert statt, das von einem MC ca. 30 Minuten lang eingeleitet wurde. Nachdem er uns von der Bühne aus persönlich begrüßt und der Kommunistischen Arbeiterpartei gedankt hat, kündigt er ,Cool Man‘ an, der zu 2 playbacks seine Massage kundtut. Wir sind leider todmüde von der Reise und müssen gehen obwohl wir lieber bleiben würden. Die anderen Performer sind enttäuscht und verkaufen uns wenigstens noch 2 CDs mit traditioneller Musik aus der Region. Eins der Alben ist von einer Gruppe aus Japan eingespielt. Am nächsten Morgen begrüßt uns die Hausschildkröte Mais.



09 - 06 - 2014


Wir schlafen in der Villa Bobo zu dritt in einem kleinen Zimmer. Wir müssen uns noch orientieren. Fenster auf, Ventilator an, Klimananlage aus (kostet extra) oder Fenster zu, Ventilator aus, Klimanlage an?

In der Villa Bobo gibt es ein kleines, richtig französisches Frühstück.

Wir erholen uns von der Fahrt vom Vortag und organisieren unseren Aufenthalt in Bobo.

Xavier, der Eigentümer, ist eine unschätzbare Hilfe:

Er schildert uns die Situation der Musiker in Bobo. Sehr hohe Nachfrage nach Live-Musik, aber auch ein sehr hohes Angebot an Musikern und Bands. Hochzeiten und Beerdigungen sind in der Regel okay bezahlte Gigs, aber wenn die Musiker in einem „Maquis“ oder „Cabaret“ spielen, bekommen sie Getränke und Trinkgeld von den Gästen. Allerdings ist Hochzeitszeit vor allem in der Trockenzeit.

Zwei Drittel der Bevölkerung leben von weniger als einem Dollar am Tag, ein Viertel aller Kinder sterben bei der Geburt, oder innerhalb ihres ersten Lebensjahres. Die  Lebenserwartung liegt unter 50 Jahre. Die eigenversorgende Subsitenzwirtschaft, die das ganze erträglich macht, wird jetzt aber von einer selten schwachsinnigen G8 Initiative bedroht: http://www.oxfam.de/news/140522-neue-allianz-g8-verschaerft-hungerrisiko-burkina-faso

Kurz zusammengefasst: Selbstversorgende Kleinbauern werden umgesiedelt, das Land wird mit G8 Geldern bewässert und dann an große landwirtschaftliche Betriebe/Konzerne steuerfrei verpachtet. Ergebnis: Bauernfamilie kann sich nicht mehr selber versorgen, mit Glück werden sie im neuen Betrieb angestellt, zu extrem schlechten Arbeitsbedingungen, aus Armut wird Elend.

In der Villa Bobo wohnt auch ein sehr nettes belgisches Pärchen, und sie helfen uns mit der französischen Übersetzung des Blogs.

Xavier macht uns mit Wamian bekannt. Er ist Musiker und ihm gehört - zusammen mit seiner Frau Helene - das „Samanke“, das Maquis, in dem wir gestern Abend waren.

Wamians Vater ist Balafonist und hat mit Farafina gespielt, einer Gruppe aus Bobo, die in den 80ern und 90ern sehr erfolgreich waren. Sie waren beim Montreux Jazz Festival, bei Nelson Mandelas Geburtstagsparty im Wembley Stadion und sind auch viel alleine getourt.

Wamian spielt uns seine Musik vor: Sehr warmer, melodiöser Afro-HipHop mit traditionellen Instrumenten. Die Texte haben in der Regel eine politische oder gesellschaftliche Botschaft.

Wamian kommt aus einer Griot Familie. Griots sind Musiker, aber erfüllen auch als Berichterstatter und Kommentatoren besonderer Ereignisse oder Konflikte auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Und sie verfügen auch als Erben der Lieder ihrer Vorväter über das historische Wissen eines Dorfes, einer Stadt oder einer Region.

Und innerhalb des traditionellen Klassen- und Kastensystems Westafrikas bilden sie eine eigene, streng abgegrenzte Kaste. Die einzig andere überregional so streng abgegrenzte Kaste sind die Schmiede. Beide sind magisch/ spirituell konnotiert: Die Schmiede sind Herren des Feuers, Hersteller von Waffen und Beschneidungsinstrumenten, die Griots sind die Herren der Lieder und Geschichten. Noch im letzten Jahrhundert konnte ein nobler Landbesitzer zwar eine Sklaventochter heiraten, aber nicht die Tochter eines Griots. Die durften wiederum nur andere Griotabkömmlinge heiraten, oder eben in Schmiedfamilien. Mit dem Ergebnis, dass manche Griot Familien, z.B. die Diabates über großartige Musiker in Guinea, Senegal, Mali, Burkina Faso und Cotes D'Ivoire hervorgebracht haben.

Am Abend kommt Wamian mit seiner Frau Helène vorbei und wir spielen uns gegenseitig Musik und Videos vor. Er hat abgefahrene Aufnahmen von seinen Veranstaltungen und er versucht uns morgen eine Band vorzustellen und vielleicht haben wir das Glück, dass sein Vater für uns spielt.

Wir zeigen ihm die Cover der Bihoulèté, Tioionté und Tiaporté CDs, aber er kennt sie leider nicht. Doch, wenn man richtig heiße Balafonmusik hören will, muss man ins Lobi-Land fahren.



10 - 06 - 2014


Wir sortieren unsere Daten, essen um die Ecke an einem Straßengrill Hammelkeule und -leber.

Hier gibt es auch in den Nebenstrassen überall kleine Stände: an vielen gibt es Obst oder Zigaretten, an manchen gegrillte Maiskolben, oder eben gegrilltes Fleisch.

Unsere Freundin Sarata in Berlin hatte uns schon viel von ihrer Stadt Bobo vorgeschwärmt, aber es übertrifft unsere Erwartungen. Die Leute sind ausnahmslos total nett, kommunikativ und hilfsbereit. Das Essen gehört zu dem schmackhaftesten, was wir je irgendwo gegessen haben.

Ein paar Stände weiter gibt es unter schattigen Mangobäumen Kaffee Touba: Ein Kaffee, der mit Ingwer, schwarzem Piment und anderen Gewürzen geröstet wird. Super-Geschmack.

Wir treffen Wamian im Salmanke. Er stellt und eine Band vor: Cheik Chow (gespr: Schuh):

Zwei Bass-Koras und ein Metallrohr, aus dem mit einem Metallstab shufflige Grooves rausgeschrappt werden.

Die Kora ist eine Weiterentwicklung der N'Goni, auch eines der uralten Instrumentenvorfahren. Kalebassen, halboffen mit Leder bespannt, dann ein langer Steg und dazwischen Darmseiten gespannt. Oben am Steg sind Blechschilder als Resonatoren angebracht. Außerdem ist der Bandname in den Resonator eingestanzt.

Die Musik der drei ist sensationell: ein droniges Gewebe, viele Vierteltöne, triolische Bass-Geflechte und grooved wie Hölle.

Passt sehr gut zu dem schmackhaften Lianensaft mit Rum, der uns eingeschenkt wird.

Hinterher erzählen die Musiker und ihr Manager uns, dass sie gerne ein Album aufnehmen würden, aber dafür 400.000 FCFA  (600,- €) brauchen, die sie nicht haben.

Auf der Fahrt zum Musikmuseum kommen wir an ein paar der wenigen mehrstöckigen Häuser vorbei, viele erinnern an DDR Architektur at its best.

Das Musikmuseum ist klein, aber fein. Am Anfang zeigen sie uns eine schöne kleine Doku über die traditionelle Musik im Süden Burkinas.

Zum Beispiel die Königstrommel der Gan: sie musste aus dem Holz eines Baumes geschnitzt werden, der mit einem besonders lauten Geräusch umgefallen ist. Dann wird sie mit dem Hals eines Löwen ausgebrannt und braucht dann noch einmal im Jahr ein Menschenopfer. Dafür ist sie aber auch so laut, dass man sie 30 Kilometer weit hören kann und alle Krieger ihrem Ruf folgen.

Die französische Armee hatte eigens Suchtrupps losgeschickt um diese Trommeln zu finden und zu zerstören.

Oder ein kurzes Interview mit einem berühmten Djembe Spieler aus Bobo, der sagt:

„Nothing ever is frozen in this music.“

Im Museum sind alte Trommeln, 300 Jahre alte Lobi-Trommeln, die spielbereit auf dem Boden liegen.Dann alte Balafone: diatonisch, penthatonisch, oder 10, 12, 17, oder 23 Klangstäbe („Lames“) und dann die verschiedenen Ethnien: Ein penthatonische Lobi-Balafon und ein penthatonisches Senufo-Balafon können zwar die gleiche Anzahl an Lames und den gleichen Grundton haben, klingen aber völig anders und sind nicht spielbar für die jeweils andere Ethnie, weil sich der Klang an der Sprache orientiert. Der Balafonist spricht durch sein Instrument wie durch ein außerkörperliches Organ.

Wir fahren weiter zum Haus von Wamians Vater, Baba Diarre.

Ein schöner Innenhof, Frauen, Schwestern, Cousinen, Kinder und ein alter Mann in spektakulärem Gewand, der auf einem alten Holzsofa vor dem schönsten Balafon sitzt, das wir je gesehen haben. Issouf Keita hat es gebaut. Man sieht es und versteht sofort, dass das ein Kunstwerk ist. Kein Vergleich zu den ländlichen Balafonen, die wir im Museum gesehen haben.

Er spielt wunderschön. Raffinierte, high-end Musik. Ein Musiker, der jeder großen Philharmonie dieser Welt zur Ehre gereichen würde. Eine Musik, die nicht mehr so genial ist, obwohl sie Bach nicht kennt, sondern eine Musik, die so genial ist, obwohl sie Bach kennt.

Leider müssen wir bald schon wieder los. Wamian versucht uns noch ein Konzert für heute abend zu finden, aber es ist Dienstag und da passiert nicht viel.

Wir laufen abends durch die Stadt bis zum Viertel Balomakotè. An einer Straße liegen ganz viele Kneipen und Maquis und an den Wochenenden, muss es sowas wie die Reeperbahn sein, aber heute Abend haben nur zwei Läden geöffnet. Wir setzen uns vor den mit der lauten Musik. Die Musik ist so eine Art Bobo-Baile-Funk: traditionelle Rhythmen und Dubstep, viel mit Auto-Tune drübergesungen und gerne mit gezerrten Bäsen. So 20/30 Gäste sitzen auf Plastikstühlen und trinken Brakina Bier (lecker, und mit Yin-Yang Zeichen auf dem Etikett).

An der Straße stehen große, alte Mangobäume und ziemlich große Flughunde fliegen von Baum zu Baum. Wenn die Musik gerade mal leiser ist hört man ihr Fiepsen.



11 - 06 - 2014


Wir treffen Wamian erst am Nachmittag, also sortieren wir unser Material und machen dann ein bisschen Sightseeing: Die alte Moschee und das anschließende alte Viertel. Das Viertel hat einerseits ein paar kleine Touristenshops, andererseits leben die Menschen tatsächlich dort, wenig Platz und viele Tiere. Lustig: das eine Viertel heißt Barca und das andere Real, viele Grafittis, die das belegen. Teilweise sind die Gebäude aus dem 11. Jahrhundert, es gibt viele Fetischschreine an denen hauptsächlich Hühner geopfert werden.. Manche sind in den Jahrhunderten zwei Meter hoch geworden, also Hügel aus altem Blut, Federn und anderem.

Wir dürfen in den Gemeinderaum, hier wird Recht gesprochen, Probleme diskutiert und Hochzeiten zelebriert. In der einen Ecke ein Fetisch für Kinderbildung und in der anderen einer für Heirat, beide frisch beblutet und befedert. Durch eine Tür zum großen Fetisch dürfen nur Initiierte treten, wenn einer von uns durchgegangen wäre, hätte er dann 5 Hühner opfern lassen müssen (Stück 2000,- FCFA  = 3,- €).

Wir kommen zum Fluss, an dem das alte Viertel liegt. Fleuve Magique. Das Flussbett ist eingefasst und vielleicht vier Meter tief. Und 10 Meter breit, aber nicht voll. Unten fließt ein kleiner Bach durch mehrere Tümpel. Es ist grün und viele Schweine wühlen durch den Müll des alten Viertels. Einer der Tümpel ist voll mit riesigen Welsen. Sie sind ein heiliges Tier für die Bewohner des alten Viertels. Wenn ein Wels stirbt, wird er nicht den anderen zum Fressen überlassen, sondern aus dem Fluss geholt und beerdigt. Wenn jemand einen lebenden Wels fängt, um ihn zu essen, verwandeln sich alle Bewohner, alle Bäume, alle Hütten, alle Tiere in Welse. Und zwar so lange, bis der Wels wieder zurück im Fluss ist.

Die Moschee ist wirklich schön, alte, massive Mauern aus Teak und Mörtel mit Kalkputz. Die charakteristischen Stämme in den Wänden sind schlicht um den Kalkputz immer wieder erneuern zu können, ohne eine Leiter anlehnen zu müssen.

Schneider stößt sich beim Betreten der Moschee schwer den Kopf und haut viel Mörtel aus dem Türsturz. Aber es geht weiter. Der Moscheeinnenraum besteht im Wesentlichen aus massiven Pfeilern und den schmalen Gängen dazwischen und kontrastiert extrem zu dem Stadtgewirr draußen. Es ist dunkel und kühl - und viele Männer liegen in den Gängen auf ihren Gebetsmatten und schlafen. Wir gehen vor bis zum Platz des Imam, daneben sind in der Wand die historischen Schalltrichter zum Gebetsrufen angebracht, ein Stück weiter hängt aus der Wand das Panasonic-Mikrofon für die 70er-Jahre Lautsprecher auf dem Turm.

Wir fahren direkt ins Salmanke und treffen Wamian.

Er fährt uns in die Balafon-Werkstatt von Issouf Keita. Seine Balafone zählen zu den besten, die es gibt. Wir gelangen in einen Innenhof, in dessen Schatten ein paar Männer arbeiten. Vor ihnen stehen Mini-Balafone, im Hof liegen auf mehreren Haufen getrocknete Kalebassen. Keita selbst ist gerade in Mali. Uns begrüßt sein Neffe Genio, der ebenfalls hier mitbaut. Er zeigt uns die komplizierten Arbeitsabläufe für die Herstellung eines Balafons vom Backen der Holzstäbe über das Montieren der Kalebassen bis hin zum Fine-Tuning. Die Instrumente sehen sehr, sehr gut aus, jedes Detail ist aus Meisterhand und sie klingen beeindruckend. Vor allem in den Bass-Bereichen hat man das Gefühl, dass Himmel und Erde vibrieren.

Schneider bekommt ein eigenes Balafon mit 12 Lames neu gebaut, es wird fertig sein, wenn wir auf dem Rückweg vorbeikommen.

Wir zeigen Genio die Cover unserer beiden Lobi-CDs, aber auch er kennt leider Tiaportè, Bihoulétè & Co nicht. Als wir ihm die Musik auf den CDs vorspielen amüsiert er sich köstlich über den abgefahrenen Lobi-Style.

Auf unsere Frage hin, wo denn die ganzen Kalebassen herkommen, zeigt uns der Meister einen kleinen Hügel, auf dem die Kürbisse wachsen. Die Kürbispflanzen sind noch klein, aber Arved filmt lange einen besonders schön gemusterten Zier-Kürbis in verschieden Kameraeinstellungen, der sich dann als Gießkanne entpuppt.)

Die Keita-Balafone sind homegrown, anderes als die Konkurrenz aus der Schweiz, die zunehmend den Markt in Europa bestimmt und die Kalebassen aus Pappmachè machen.

Falls irgendjemand Interesse an einem Balafon haben sollte: Kauft in Bobo-Dioulassou bei Keita http://baragnouma.com/fr/3_issouf-keita.

Wir sind vollkommen euphorisch, als wir die Werkstatt verlassen und setzen uns in den Benz von Wamian. Wir fahren nur ein paar Ecken weiter, steigen aus und der Wahnsinn geht weiter: Wir betreten ein carre, wo in einem rauchenden Ofen Dolo (Hirsebier) gebraut wird, schon spielbereit sitzen zwei Balfonisten und vier Trommler, sowie eine Reihe von Leuten unter den Bastmattendächern. Die Band spielt die Musik, die wir als klassische Bobo-Musik beschreiben würden: Weniger fein und raffiniert als Wamians Baba, aber dafür definitiv tanzbar.

An manchen Trommeln wird gewechselt, aber der Bandleader-Balafonist, der Rhythmus-Balafonist und der Djembe Spieler bleiben an ihren Instrumenten. Die Musik geht durch eine Exposition, noch kein klares Lied, aber Kommunikation zwischen Musikern, der Bandleader beginnt ein dialogisches Thema, der zweite Balafonist legt einen Loop drunter und die Djembe springt langsam rein, das Thema wechselt der Loop bleibt und Djembe und erstes Balafon treten in einen kurzen Dialog.

Dann fügen sich alle ineinander und der Groove startet mit vereinten Kräften. Und dann WERDEN WIR BESUNGEN !! Zuerst Wamian, dann Schneider, dann Julian und dann Arved.

Jeder bekommt 3-4 Minuten Hymne: Snai-derrr, Snai-derr, Snai-derr, Snai-derr!! (in penthatonischen Tonschritten nach unten)

Wir sind alle drei aufrichtig berührt.

Am Ende von jeder Hymne klebt der Besungene dem Bandleader einen Geldschein an die Stirn.

Inzwischen sitzen vielleicht 30 Leute auf dem Hof, vor sich die Kalebassen mit dem Dolo und den Holzbrettchen zum Abdecken gegen die Fliegen. Und jetzt wird getanzt.

Wir werden angetanzt und müssen/wollen mittanzen. Großes Amüsement allerseits.

Wir werden ordentlich mit Dolo abgefüllt. Nach anderthalb Stunden ist die Band körperlich verausgabt und nach vielen ehrlichen Komplimenten machen wir uns auf den Weg.

Auf Empfehlung von Tina und ihrem Freund gehen wir um die Ecke zu einem Straßengrill mit Fischen. Wir essen Fisch mit Zwiebeln, Fritten und scharfer Soße. Ungeheuer lecker.

Die Diskussion geht um den Animismus mit seinen Fetischen. Eine Religion die ganz im Hier und Jetzt verwurzelt ist. Es gibt keine Meta-Person, die macht hat, sondern nur das konkrete, belebte Objekt. Irgendwie kommen wir auf die NSA, aber ein Thema von dem man nirgendwo weiter weg zu sein scheint, als an einem Straßengrill in einer warmen Bobo-Nacht.



12 - 06 - 2014


Wir stehen sehr früh morgens auf, nehmen nach kurzem Fußweg mit all unserem Krempel ein Taxi zum Busbahnhof und fahren um 7:30 Uhr mit dem Bus c.a. 200 Kilometer nach Boromo, um einen Freund von einem Freund von Schneiders Schwester zu treffen der Issaka Yameogo heißt und uns weiter nach Gaoua begleien wird.

Dieser Kontakt wird sich vielleicht später noch als hilfreiche Fügung und Verkettung von glücklichen Zufällen herausstellen und wir möchten uns an dieser Stelle nochmal allerherzlichst und ausdrücklich bei Silvie Bovarnick & Axel Kiese für ihre Unterstützung bedanken!

Nach Croissants und Cafe Au Lait (Instant Kaffe, Milchpulver & heißes Wasser)fahren wir 3 Stunden Richtung Nord-Ost. Der Bus ist komplett ausgebucht und hat keine Toilette, was 2 von uns nicht so lustig finden denn sie haben heute Morgen Jackson Pollock Kopien im Badezimmer der Villa Bobo hinterlassen.

Der Busfahrer und sein Kopilot hantieren mit einem USB Stick an der Audioanlage des Busses herum und wir freuen uns schon auf weitere interessante Ausflüge in die zeitgenössische afrikanische Popmusik mit Autotune Gesang, harten minimalen Beats & Eurotrash Keyboards. Es erklingen die ersten Akkorde eines Skorpions Hits der Mitte 80er und wir zucken zusammen. Glücklicherweise entscheidet sich der Kopilot nach wenigen Sekunden doch für den spät 80er Actionfilm „Cyborg“ mit Jean Claude Van Damme, der die nächsten 90 Minuten auf dem Cockpit-Fernseher in hartem Kontrast zur vorbeifließenden, rot-grünen und wunderschönen afrikanischen Landschaft steht. Wir fahren durch einen Nationalpark mit unsichtbaren Elefanten und anderen wilden Tieren. Die Straße ist in sehr gutem Zustand und wird an einigen Stellen sogar mit noch einer weiteren Schicht Asphalt bewalzt, als es plötzlich sehr heiß wird und der Bus mitten auf der recht stark und schnell befahrenen Straße anhält. Der Kopilot kramt einen Riemen unter dem Fahrersitz hervor und springt aus der Seitentür.

Wir warten und es dauert. Wie sich herausstellt, ist die Klimaanlage ausgefallen und die Fahrgäste, inklusive uns, steigen aus um sich die Beine zu vertreten. Auf einer Seite der Straße sieht man eine Gruppe junger Frauen mit Dingen auf dem Kopf von der Ferne näher kommen. Es ist so heiß, dass ihr Umrisse in der Luft flirren und wir halten sie erst für eine Fata Morgana.

Nachdem sie desinteressiert an dem Bus und seinen Insassen vorbei die Straße überqueren und auf der anderen Seite langsam verschwinden, geht es auch bei uns wieder los und wir sausen die restlichen Kilometer zum Busbahnhof von Boromo. Dieser stellt sich als extrem facettenreicher Marktplatz heraus und scheint einer der Hauptverkehrsknotenpunkte in der Mitte Burkina Fasos auf der Strecke zwischen Bobo-Dioulasso und der Hauptstadt Ouagadougou zu sein.

Issaka ist beim Austeigen schon am Bus und empfängt uns sehr herzlich. Er spricht besseres Deutsch als wir, was wahrscheinlich daran liegt, dass er Fachberater für Deutschlehrer ist und schon oft in Europa & Deutschland war. Wir setzen uns in eine Bar, trinken Brakina, das extrem erfrischende burkinabe Bier und erzählen uns gegenseitig Teile unserer Leben. Wieder sind wir gerührt von der aufrichtigen und unaufdringlichen Herzlichkeit, die uns bisher auf unserer Reise von allen Seiten entgegengebracht wird. Hier gibt es so viel von dem, was man in Deutschland so oft vermisst und so wenig vom dem, was bei uns oft im Überfluss da zu sein scheint.

Am Boromo Busbahnhof laufen viele Kinder im Alter zwischen geschätzten 5 und 12 mit kleinen Blechbüchsen herum und fragen nach Geld. Am liebsten würden wir allen jeweils einen dicken Schein in die Blechdosen werfen und einigen geben wir Kleingeld, doch Issaka meint, es könne sich eventuell um von Erwachsenen organisierte Kindergruppen handeln, die als mutmaßliche Waisenkinder später wieder alles an ihren vermeitlichen Familienersatz abdrücken müssten. Selbst die Kinder, die wir enttäuschen, begrüßen uns lächelnd mit ,High Five’ und ziehen weiter.

Der Bus von Boromo nach Gaoua kommt und kommt nicht. Er hat schon 2 Stunden Verspätung. Das Warten fängt an auf unsere Kräften zu gehen und wir essen Baguette mit Ei und einer leckeren, scharfen Fischsauce. Busse stehen Front an Front und hupen sich gegeseitig an bis einer nachgibt und den Rückwärtsgang einlegt. 2 elegante, ältere Herren mit Gehstöcken, neonfarbenen Fußballschuhen mit Stollen und extrem coolen Sonnenbrillen passieren und begrüßen uns sehr herzlich als man schon von weiter Ferne lautes Klappern und Reggae hört.

Unser Bus ist mit Bob Marley und Che Guevara Portraits verziehrt und hat Radkappen sowie Außenspiegel in Rasta-Farben. Ein Reifen sei kurz vor Boromo geplatzt, heißt es. Wir checken im Gewimmel unser Gepäck ein und nehmen uns die letzten freien Sitzplätze. Der Fahrer rast mit so hoher Geschindigkeit richtung Süden, als hätte er Zeit aufzuholen. Er hupt was das Zeug hält und Fahrrad- & Mofafahrer, Mütter mit Kindern auf dem Rücken, freilaufende Schweine, Kühe, Ziegen und sonstiges springt immer im allerletzten Moment zur Seite um uns den Weg frei zu machen und ihre Leben zu retten.

Währenddessen läuft neben weiteren Reggae Stücken eine unglaublich minimal rockende Afro-Musik bestehend aus lediglich einer Snare Drum und einer klingelnden, angezerrten E-Gitarre die im weitesten Sinne irgendwie an eine Kombination aus High-Life Musik aus Ghana und dem ersten Album der Großenknetener Band TRIO erinnert.

Die Landschaft wird in ihrer grün-roten Dreidimensionalität farblich immer intensiver und scheint mit zahllosen Kartoffelfeldern und Seen sehr fruchtbar zu sein. Zwischendurch kleine Höfe - schon mit der traditionellen Lobi Architektur: Keine Eingangstür, dafür Stockleitern zum rübersteigen - und Camps von, wie sich später herausstellt, Goldgräbern mit dicken SUVs und Mototrrädern.

Irgendwann öffnet der Bus-Schaffner/ Bordmechaniker eine Abdeckung in der Mitte des Gangs weil er ein komisches Geräusch von unten hört…er beugt sich tief in das Loch im Gang und inspiziert irgendetwas zwischen den Vorderrädern des Busses. Wir können die Straße schräg unter uns vorbei rasen sehen.

Immer wieder halten wir an kleinen Busbahnhöfen und Dörfern wo Leute ein und aussteigen und Essen & Getränke verkauft werden.

Im letzten Dorf vor Gaoua steigt eine junge Frau mit Nüssen ein und während sie auf ihr Wechselgeld wartet, fährt der Bus los und sie versehentlich mit, was im hinteren Teil des Rasta-Gefährts für ausgelassene Stimmung sorgt.

In Gaoua angekommen werden wir von Reno, einem alten Freund von Issaka in einem 190 D abgeholt. Issaka hat lange in Gaoua gelebt und als Lehrer gearbeitet. Er war schon 5 Jahre nicht mehr hier und verbindet den Gefallen uns zu begleiten mit dem Besuch von seinem Schwiegervater und alten Freunden.

Wir fahren ein paar Kilometer zu unserer Herberge bestehend aus einigen Backsteingebäuden und einem malerischen Innenhof mit Bäumen auf denen Geckos sitzen und checken ein.

Gaoua ist mit c.a. 20.000 Einwohnern sehr viel kleiner und ländlicher als Bobo-Dioulasso. Alles macht einen sehr entspannten Eindruck. Wir sind in einer der ärmsten Regionen Burkina Fasos die aber sehr reichhaltig an lokaler Landwirtschaft und Infrastruktur wirkt.

Issaka hat einem alten Schulkollegen von uns erzählt, der selber Balafon spielt und viele Musiker in Gaoua kennt. Wir sind mit ihm zum Essen verabredet und machen uns auf den Weg durch die Dämmerung mit fast vollem Mond am Himmel. Wir fahren wie schon zuvor an dem neuen und sehr auffälligen Gefängniskomplex vorbei, dessen Tür weit offen steht und Innenhof aussieht wie eine Oase mit Landwirtschaft und Palmen.

Issaka erzählt, daß die hohe Mauer mit Stacheldraht relativ neu sei, da durch die mangelnde Sicherheit die Gefangenen vorher ein- und ausgegangen seien wie sie Lust haben. Wir machen Witze über Gefangene und Wärter, die wahrscheinlich tagsüber zusammen Dolo-trinkend in irgendwelchen Cabarets abhängen und abends, Räuber und Gendarme spielend, zusammen zurück ins Gefängnis torkeln nachdem sie Uniformen getauscht haben.

Der ältere Lehrer heißt Somda und freut sich offensichtlich sehr Issaka zu sehen. Wir sitzen, trinken und fangen an zu erzählen. Somnda spricht auch fließend Deutsch und erzählt er sei gerade sehr mit den Abschlußzeugnissen seiner Schüler beschäftigt, da das Schuljahr zu Ende geht bevor die Regenzeit beginnt und niemand mehr durch den Schlamm zur Schule kommt. Er macht den Eindruck eines weisen alten Mannes, so in der Art, die an einen gewissen Charakter aus den Star Wars Filmen erinnert.

Schneider hat ein paar kopierte Zettel mit Teilen der Booklets von den beiden Lobi-Balafon CDs in der Hosentasche und fingert sie heraus um Somda einige Fragen zu stellen über die Musiker Hien Bihoulèté, Palé Tioionté und Kambiré Tiaporté. Es ist sehr dunkel und es dauert bis er die Namen im Booklet erkennt. Dann berichtet er, daß Bihoulèté, der blinde Balafonist, 2008 und die anderen beiden vorher schon gestorben seien. Wir sind enttäuscht und unsere Reise scheint eine traurige Wendung zu nehmen. Während wir drei untereinander die Situation diskutieren, telefoniert Somda kurz und ein paar Minuten später kommen vier weitere Männer zu uns an den Tisch: Unter ihnen Roland, ein gut aussehender junger Mann mit Spiegelbrille & traditionellem Anzug der sehr gut Englisch spricht und Martin, der sich tatsächlich als der Sohn von Kambiré Tiaporté entpuppt. Wir sind sehr aufgeregt und Schneider fängt an mit Somda und Martin anhand des Booklets über die beiden weltweit einzig erhältlichen Lobi-CDs zu diskutieren.

Martin sieht sich die Cover genau an und man merkt sofort, daß er sie das erste Mal in seinem Leben sieht. Im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus, daß niemand vor Ort von den Aufnahmen die 1991 und 1998 für die OCORA / Radio France -Veröffentlichungen in Gaoua gemacht wurden gewußt hat, da es sich wahrscheinlich um Party-Situationen mit sehr viel Dolo (ein selbstgebrautes Hirsebier, daß sehr an hessischen Äbbelwoi erinnert) gehandelt habe.

Sowieso sei auch niemals irgendwelches Geld von CD Verkäufen bei den Musikern und ihren Familien angekommen. Die Erkenntnis dieser Tatsache entfacht bei Martin und Somda nicht etwa Ärgernis oder Wut, sie sitzen da, lächeln und freuen sich verwundert über die Zettel mit den Booklet-Kopien.

Es wird viel kommuniziert und auf Schneiders vorsichtiges Vortasten, was das Thema einer prinzipiellen Zusammenarbeit beider Musikkulturen angeht, erzählt Somda: ,Hier läuft es so, daß ein Balafonist in irgendeinem Hof oder Cabaret anfängt sich mit seinem Balafon zu unterhalten und zu spielen. Dabei ruft er andere Musiker an, die kilometerweit entfernt sein können aber merken, daß irgend etwas losgeht. Es werden Tam Tam Spieler (eine c.a. 70 cm große Trommel mit 2 Fellen die horizontal auf dem Boden liegt)und auch Spieler der 2. Hälfte des Zwillingsbalafons gerufen. Bei Eintreffen wird zusammen eine Einleitung gespielt bevor das eigendliche Lied losgeht.

Schneider sagt, er hat das Gefühl vor 10-12 Jahren gerufen worden zu sein, als er die CD das erste Mal bei Dussmann in Berlin unterm Kopfhörer gehört habe. Es gibt keine Reaktion auf diese Aussage.

Wir essen gegrillten Fisch mit Reis und trinken Brakina. Als ein dickes Motorrad mit sehr hohem Tempo an uns auf dem Schotterweg vorbeirast, erzählt Somda noch, es sei wahrscheinlich ein erfolgreicher Goldsucher, der wie viele sein Geld in ein dickes Motorrad oder SUV steckt und verrückt im Kopf geworden ist. Viele fangen nach erfolgreicher Goldsuche an im Kopf abzudrehen und fahren sich danach mit ihren viel zu schnellen Maschinen tot. Die Lobi seien traditionell überhaupt nicht an den reichen Goldvorkommen der Region interessiert und es sei sogar verpöhnt gewesen das Gold zu behalten, wenn es zufällig gefunden wurde. Jetzt aber sei die Armut groß und jeder braucht das Geld um die Familie zu ernähren.

Wir verabreden uns mit Martin Tiaporté für den nächsten Morgen an irgendeinem Haus, wo er uns etwas Musik auf seinem Balafon vorspielen und weitere Fragen beantworten wird.



13 - 06 - 2014


Morgens gibt es Cafe au Lait und extrem leckeres Omelette, das Aisha, die Köchin & Managerin der Auberge Donsamby aus den Eiern der hier freilaufenden Perlhühnern, Tomaten, Zwiebeln und Paprika zaubert.

Wir fahren zusammen mit Issaka in dem geliehenen 190er und mit Mofa zu der verabredeten Adresse. Es ist ein Hof inmitten von einigen Lehm- und Zementziegelbauten mit einem alten Baum in der Mitte. Es stehen schon 3 Balafone und ein Tam Tam bereit. Wir werden von Martin, Roland und ein paar Frauen, Kindern, und Männern begrüßt und setzen uns auf eine Art Terrasse. Es wird eine Kalebasse mit einer Flüssigkeit die an Wasser mit Mehl erinnert herumgereicht. Von Person zu Person wird die Kalebasse immer wieder ein paar Zentimeter weitergedreht, damit jeder einen unbenutzten Teil zum Trinken hat.

Danach werden wir noch mal richtig und offiziell von allen Anwesenden begrüßt.

Einige Musiker spielen währenddessen schon auf einem Zwillingsbalafon und dem Tam Tam herum, was höchstwahrscheinlich eine Unterhaltung mit ihren Instrumenten ist.

Der Balafonist ist eine ältere, blinder Mann, den wir zuvor auch begrüßt haben.

Dann setzt sich auch Martin an ein Balafon und sie legen nach einer kurzen Einleitung richtig los. Ein Breakbeat Gewitter mit 2 Balafonen und einem Tam Tam Spieler + Ko-Perkussionisten bricht über uns hinein. Der Sound ist ziemlich nah an dem was wir 1000 Mal auf den CDs gehört haben und wir werden komplett weggeblasen. Ein Frau names Collette fängt an in typischem Lobi-Stil zu tanzen und alle Kinder steigen mit ein. Alles zusammen ergibt ein so hohes Energieaufkommen, das wir 3 hektisch unsere Dolo-Kalebassen leeren, um überhaupt irgendwie mitkommen zu können.

Es ist 10:15 am Morgen und Schneider kämpft mit den Tränen.

Nach dem c.a. 15 minütigen Stück wird eine kurze Pause eingelegt und wir liegen uns in den Armen. Anhand des kopierten Booklets stellt Schneider Martin & Roland einige Fragen zu den Stücken und sie erklären uns, welches Lied zu welchem Anlass gespielt wird und das sie gerade das erste schon gespielt haben. Im Laufe des Vormittags werden wir alle Stücke der Alben in verschiedenen Versionen zu hören bekommen und einige davon sogar mehrfach von unterschiedlichen Musikern gespielt. Als sich dann noch heraus stellt, dass es sich bei dem Solo-Balafon um Kambiré Tiaportés und genau das selbe wie auf den CDs und einem der dazugehörenden Cover handelt, wird uns klar das gerade all unsere Erwartungen übertroffen werden. Auch das Tam Tam ist dasselbe.

Die Zettel mit den Booklets werden herumgereicht und sorgen allerseits für Erstaunen, Rührung und Freude. Der Spirit Kambiré Tiaporté’s ist spürbar gegenwärtig und wir werden seiner Witwe, der Mutter von Martin vorgestellt. Sie ist eine sehr schöne älteren Dame und wir bekommen ein altes Foto von ihrem verstorbenen Mann mit Trainingsjacke und cooler Sonnenbrille an seinem Instrument sitzend zu sehen.

Dann geht es weiter mit neuen Versionen der uns bekannten Stücken. Die Lobi-Musik ist nicht statisch und verändert sich mit jeder gespielten Version. Die Töne und Harmonien bleiben als Komposition gleich und stehen fest, aber Intonation und rhythmisches Gefüge variieren ständig.


hier die Tondatei >> https://soundcloud.com/mirrorworldmusic/martin-kensie-ensemble-song-2-master-test


Bald tanzen fast alle mit tightem Stampfen, groovenden Schultern, präzisen Armbewegungen & Jazzhands und die gesamte Nachbarschaft scheint nach und nach einzutrudeln.

Die Musiker tauschen Instrumente und wir lernen unter anderem den Unterschied zwischen Solo- und Zwillings-Balafon.

Beim zweiten sind die Klangstäbe unterschiedlich gestimmt und ergänzen sich gegenseitig. Eins ist das Rhythmus-und Begleitbalafon während das Andere als Leadinstrument, ähnlich wie bei klassichen Rockbands mit Rhythmusgitarre und Leadgitarre, dient. Der Tam Tam Spieler bearbeitet das Holz und das seitliche Fell mit 2 Sticks und Hand, während er das gegenüberliegende Resonanzfell mit dem Fuß dämpft oder offen lässt. Auch mit einer seiner Hände kann er auf der bespielten Seite dämpfen und gleichzeitig rhythmische Breaks einbauen. Er wird vom Acompagner auf der anderen Seite des Tam Tam unterstützt, der teilweise die triolischen harten Beats auf dem Holzrahmen doppelt oder sie wiederum bricht.

Roland ist nicht aus Gaoua und arbeitet in einem 18 Km entfernten Dorf als Lehrer. Normalerweise spielt er seine eigenen Kompositionen auf E-Gitarre, präsentiert sie uns aber heute auf dem Balafon. Sein Stil ist im Vergleich etwas poppiger - so würde man es in unserer Welt beschreiben - und weniger vertrackt, aber auch super interessant mit seinen minimal variirenden Loops. Die rechte Hand spielt Melodie und die Linke begleitet mit Bassläufen.

Mittlerweile sind c.a. 50 Leute vor Ort und die Party ist in vollem Gange.

Wir hören, es sei für Alle eine absolute Überraschung und wenig nachvollziehbar das drei Leute wie wir aus Berlin in ausgerechnet ihr Dorf kommen weil sie sich explizit für den Balafon Stil der unmittelbaren Nachbarschaft interessieren.

Nach einer kurzen Pause wird das Instrumentarium ein paar Meter weiter in der Nähe des Baumes aufgestellt und aus besonderem Anlass das Stück Gopir angestimmt, das eigentlich nur bei dem Begräbnis des Familien-Ältesten gespielt.

Während der sehr langen Version von Gopir geht ein altes scharz-weiß Foto herum, auf dem man den alten Tiaporté als jungen Mann in Uniform der französischen Armee sieht…Es wird Hirsebier getrunken, geraucht was das Zeug hält und mit dem Bild in der Luft um die Instrumente getanzt. Ein sehr bewegender Moment.

Die Kinder posieren für die Kamera und laufen immer ganz schnell zu Arved hinter die Kamera, um noch einen Blick auf sich erhaschen zu können. Somda hat anscheinend seine Zeugnisarbeiten für heute beendet und erscheint im Anzug auf seinem Cruiser.

Nach mehr als 6 Stunden klingt das Fest langsam aus. Wir verabschieden und bedanken uns ausgiebig und gehen mit Somda, Martin, Roland, dem Tam Tam Spieler Christian, dem Balafonisten und Acompagner Aime und einigen anderen ein paar Meter weiter in einen kleinen Imbiss mit Bar nebenan und Esssen Reis mit Fischsauße und Rindfleischsuppe.

Roland und Schneider diskutieren die stilistischen Unterschiede zwischen der Lobi- und seiner Musik und sprechen über die Tatsache, daß man beim Reisen und Entdecken von bisher unbekannten Dingen sowie durch Austausch mit zuvor unbekannten Menschen am meisten lernt.

Das sei das wichtigste um eine neue Welt zu schaffen, die aus alten Fehlern lernt und die Zukunft anders gestaltet.

Dabei entsteht spontan die Idee, einen gemeinsamen Song zu komponieren und ihn vielleicht sogar nächste Woche im nahgelegenen Radiostudio aufzunehmen. Ein Titel ist schnell gefunden: Learning By Travelling / Kparr Diré (auf Lobi) /Lernen Durch Reisen

Abends gucken wir in der Auberge mit Issaka und einigen anderen Fußball und fallen danach in die Betten.



14 - 06 - 2014


Wir sind ganz schön fertig von den Eindrücken des gestrigen Tages. So schnell ein ideelles Ziel unserer Reise erreicht zu haben, lässt uns manchmal außer Atem und ein bisschen überfordert zurück.

Issaka hat viele Freunde hier getroffen. Obwohl er seit fünf Jahren nicht mehr hier war und die lokalen Dialekte nicht spricht, haben sich seine sozialen Beziehungen so gut gehalten, dass er sich vor Einladungen gar nicht retten kann.

Martin und sein älterer und jüngerer Bruder holen uns mit ihren Motorrädern ab und wir fahren über die staubige Piste Richtung Batiè.

Wir biegen links in einen Trampelpfad ab, fahren an kleinen Höfen und riesigen alten Baobab Bäumen vorbei.

Ziel ist ein Lobi Gehöft: Kastenartige Lehmziegelgebäude an zwei Seiten um einen großen schönen Shebutter-Nut Tree. Manche der Hütten haben wie in alten Zeiten keine Fenster oder Türen und sind nur über eine Baumstammleiter zu erreichen, aber die meisten haben Türen.

In jeweils einer Hütte wohnt eine Frau mit ihren Kindern. Auf die Frage, wo die Männer schlafen, wird geantwortet, die sitzen unter dem Baum und trinken. Und in einer Hütte sind die Fetische, aber die werden uns nicht gezeigt.

Die Dächer werden zum Dörren der Brauhirse verwendet. Und der obligatorische Lehmofen mit den fünf Tonkesseln zum Brauen des Dolo darf nicht fehlen.

Im Schatten des Baumes stehen wieder zwei Balafone, an einem sitzt ein alter Mann in Lumpen, der jüngere Bruder des Familienoberhaupts. Am anderen ein junger Mann in einem eleganten Poloshirt. Die Balafone sehen uralt aus, die Kalebassen sind oft geflickt und die Rahmenstäbe vom häufigen Wickeln der Klangstäbeseile ganz dünn gescheuert.

Sie spielen los. Hier werden sie mit zwei Boros begleitet, Kalebassentrommel mit Ziegenfell bespannt. Die TamTam von gestern ist Gaoua-Style, jetzt sind wir aber auf dem Land.

Die Musik klingt in ihren Wendungen und Loops eher, wie die Musik, die wir von den CDs kennen. Inzwischen haben wir (besonders Schneider) ein wenig Ohr für die Veränderungen in der Lobi Musik entwickelt.

Ein erschöpfter junger Mann kommt auf dem Fahrrad an, der in der Nähe einen 30 Liter Kanister Dolo geholt hat. Dazu spendiert Somda einen Liter Eau du Feu, den Schnaps, der aus Hirsebier gebraut wird. Nachdem wir gesehen haben, dass niemand der Anwesenden spontan erblindet, probieren wir auch. Geschmack: milder, westfälischer Doppelkorn.

Wir sitzen auf einer Bank unter dem Baum, trinken Dolo, hören Musik, die von Vater zu Sohn über Jahrtausende weiter gegeben wurde und schauen in eine Landschaft, die, wenn man die drei Motorräder, das Fahrrad und zwei Wellblechstücke (= Hühnerstall) wegnimmt vor 5000 Jahren schon genauso aussah. Die Familie ist, bis auf Kleidung, Salz und das eine oder andere Metallteil komplett selbstversorgend.

Nach dem alten Mann übernimmt Martin das Balafon, er rockt und bringt alle zum Tanzen.

Danach muss Schneider zeigen, was er am Balafon kann, aber es funktioniert noch nicht so gut, der begleitende Balafonist und die Borospieler wissen nicht genau, was sie mit dem Berlin-Style von Schneider anfangen sollen und schmeißen sich jedes mal komplett weg vor Lachen, wenn er in ihren Ohren totalen Quark macht. Dann muss Julian ran und er wiederholt einfach nur die drei Tonschritte, die ihm der andere Balafonist vorgibt, das klappt ganz gut, endlich wieder Musikschule.

Es gibt einen Dorfclown, der seinen Mund wels-artig vorstülpen kann, die Backen dabei aufbläst und seine Augen komplett nach hinten rollen kann. Er hat seine große Stunde mit Arved und seiner Kamera. Überhaupt sind die beiden Kameras mit den großen Displays die absolute Sensation mit den Kids und den Müttern. Schneider setzt den Kids seine große Sonnenbrille auf und alle gehen steil.

Nach Martins Set spielt nochmal Schneider und diesmal klappt es fantastisch: Er beherrscht den Jerry-Lee-Lewis-mäßigen Stockzieher über alle Klangstäbe und jedes mal packen sich alle total weg. Ein großer Erfolg.

Die Gespräche über den angemessen Ausdruck unserer Dankbarkeit für die riesige Gastfreundschaft und die geleistete Arbeit dauern länger. Nie wird Druck oder irgendetwas unangenehmes an uns herangetragen, aber es gibt auch logischerweise keinen klaren Preis, einige wissen, was wir Martin am Tag davor aus totaler Dankbarkeit gegeben haben, und wir wollen auch ihn nicht in ein blöde Situation bringen, wenn andere denken, er behielte was von uns, was ihnen zustehen könnte.

Wir können mit Achtsamkeit einen guten Weg finden, aber es beschäftigt uns weiterhin.

Zuletzt spielt das Familienoberhaupt auch ein unglaubliches Set im „alten Stil“, aber mit einem Feuer und einer Virilität, die man dem alten, mageren Mann nicht zugetraut hätte.

Wir verabschieden uns ausführlich und brechen mit den Motorrädern auf.

In der Auberge angekommen diskutieren wir länger, wie wir weiter vorgehen wollen, was uns wichtig ist und was wir beobachten. Somda hatte gesagt, dass früher einem Gast gegeben wurde, was er brauchte und wollte, heute bestimmen die Finanzen auch diese Welt und es ist schwieriger. Wir wollen vor allem ihn und Martin nicht in knifflige Situationen bringen.

Wir verändern nur durch unserer Anwesenheit und unsere Neugier das Gefüge hier.

Uns wird klar, dass wir nun den nächsten Schritt angehen müssen und uns aus der Situation der Darbietungen und des „Aufnehmens“ im doppelten Sinne entziehen müssen. Für morgen ist schon wieder ein Konzert (mit Tanz) für uns geplant. Wir wollen es einfach genießen und bewusst keine Kameras und kein Tonaufnahmegerät mitnehmen.



15 - 06 - 2014


In der Nacht hat Cotes D'Ivoire gespielt und gewonnen. Wir waren schon im Bett, aber man hat den Jubel aus den Dörfern ringsum gehört.

Wir setzen uns wieder ans Blog, zeitlich wir hängen schwer hinterher, was einerseits an unserer Überforderung in den letzten Tagen, aber auch an der Tatsache lag, dass es hier einfach kein Internet gibt. Beim Markt von Gaoua gibt es ein Telecafe, das wir ausprobieren müssen.

Wir laufen kurz über den Sonntagsmarkt mit ein paar Produkten aus den Dörfern ringsum. Schöne, schlichte Tonschüsseln, geflochtene Körbe, selbstgekochte Seifen, roher, getrockneter Tabak.

Anschließend fahren wir Issaka zum Busbahnhof, verabschieden uns von ihm und fahren zu Martin.

Er führt uns in ein Cabaret gleich um die Ecke von seinem Haus. Wieder ein großer Hof, diesmal mit mehreren schattenspendenden Bäumen und zwei 5-kessligen Lehmbrauöfen für das Dolo. Ein richtig großer Biergarten also. (Und wir sehen zum ersten mal wie der Fermentierungsprozess gestartet wird: Eine der Braumeisterin schöpft die Maische aus dem Fass, kaut sie und gibt das Gekaute wieder zurück ins Fass.)

Es sitzen bestimmt schon vierzig Menschen auf den Bänken, und wir begrüßen alle mit Handschlag.

Zuerst werden zwei Dagara – Zwillings-Balafone geholt.

Sie wirken viel roher als alle Balafone, die wir bis jetzt gesehen haben. Sie haben zwar auch nur jeweils 14 Klangstäbe, aber die sind deutlich länger, die Bass-Lames etwa 80 cm. Und sie sind nicht gesägt, sondern roh behauen, knorrig, schief und krumm. Und sie müssen richtig mit Kraft gehauen werden um zu klingen. Somda erklärt uns, dass das Dagara-Balafon, deswegen auch nur von besonders kräftigen, virilen Männern gespielt werden kann.

Und er erklärt uns, dass der 5. und 10. Klangstab (von oben nach unten gezählt) „falsche“ Noten sind. Sie werden nur selten gespielt und wenn, dann klingen sie „grâve“.

Roland und der andere Balafonist prügeln los. Schnell fangen die Leute an zu tanzen und wir tanzen mit. Es war eine gute Entscheidung heute ohne fette Kameras zu kommen, aber sie werden vermisst, und wir werden mehrmals gefragt, wo denn unsere Kameras sind. Mit den smartphones können wir aber trotzdem ausreichende Aufnahmen machen.

Dann kommen die Tänzer. So wir wie es verstehen, sind sie eine kommunale Tanz- und Musiktruppe, die eine wichtige Position im kulturellen Leben Gaouas einnehmen.

Sie sind in blaue Kostüme gekleidet und können wirklich exzellent tanzen, die Band sind wieder Martin und Roland an den Balafonen und Christian am Tam Tam.

Wir müssen diesmal relativ viel zahlen für die Tänzer und Musiker. Wir haben jetzt natürlich das Interesse der Menschen geweckt, für die verständlicherweise Geld eine große Rolle spielt.Es ist für uns nicht ganz klar wohin sich dieser Weg entwickelt, und wir wollen unbedingt mit Martin, Roland und Somda in Ruhe über unsere Möglichkeiten, Wünsche und Pläne reden.

Nach der Tanzvorführung müssen wir was essen und gehen in die Obama Bar gegenüber. In der Bar läuft schon laut Fußball. Wir reden mit Martin, Roland und Somda über unsere Pläne und dass Schneider sehr gerne mit Martin und Roland musikalisch weiter arbeiten würde. Es ist ein sehr herzliches und klares Gespräch, in dem alles - „Was wird das ganze werden?“ - ohne Umschweife angesprochen wird. Wenn ein gemeinsames Lied entsteht, machen wir einen Vertrag und melden es bei der burkinabe Entsprechung der GEMA an. Und wir machen einen Vertrag über die Verwertung aller bis jetzt gemachten weiteren Ton- und Bildaufnahmen.

Schneider fragt nochmal präzise nach, wie das damals mit den beiden CDs von Radio France lief. Fakt ist, dass niemand der noch lebenden von den Aufnahmen und der CD weiß. Es findet sich kein Vertrag und definitv sind nie Erlöse aus dem CD Verkauf nach Gaoua zurückgekommen.

Wir freuen uns sehr, dass uns trotzdem nicht mit Misstrauen begegnet wird (was ja total verständliche wäre) sondern mit Enthusiamus und Herzlichkeit.

Wir verabreden uns für Dienstag, weil wir gerne die drei Gräber von Tioionté, Bihoulétè und seinem Vater Tiaporté besuchen wollen. Sie sind in Gaoua und in einem Nachbardorf beerdigt. Mittwoch und Donnerstag gibt es eine Musiksession: „Learning by Traveling – Kparr Dirè“, die ersten Liedzeilen wurden schon gedichtet und ausgetauscht.



16 - 06 - 2014


Wir bleiben heute in der Auberge um den Blog weiterzuschreiben und uns von den intensiven Erlebnissen der letzten Tage etwas zu erholen. Das Schreiben hilft sehr beim Verarbeiten der Eindrücke. Aisha & die beiden jüngeren Frauen, die ihre Schwestern oder Cousinen sein könnten, gehen ebenfalls ihrem Tagewerk nach und lachen tatsächlich den ganzen Tag sehr laut. Wir wissen nicht genau worüber, aber es könnte sein daß wir zumindest einen Teil der Ursache für ihren Spaß sind und das finden wir gut !

Sowieso ist der allgegenwärtige Humor der Leute hier sehr erfrischend und ansteckend. Man scheint sich wirklich über alles Erdenkliche amüsieren oder komplett schlapp lachen zu können. Die beiden jungen Frauen singen zwischendurch traditionelle Working Chants und Schneider würde sie gerne mit dem Rekorder aufnehmen, ist jedoch zu schüchtern und möchte das Szenario nicht stören.

Audrey, die Tochter von Aisha sorgt für die übrige Unterhaltung indem sie alle unsere Hüte & Sonnenbrillen anprobiert.

Abends versuchen wir im einzigen Internet Cafe Gaouas den Blog zu aktualisieren, was aber aus irgendeinem Grund nicht funktioniert. Es gibt hier nur sehr selten eine stabile Verbindung. Wir haben das Gefühl noch nie so weit vom Internet entfernt gewesen zu sein, wie hier.



17 - 06 - 2014


Arved bleibt heute im Hotel, um sich zu regenerieren.

Martin holt uns ab und wir fahren im Benz erst mal zur Tankstelle. Volltanken, neue Bremsflüssigkeit und ein Liter Öl ca. 50,- €, ein gutes Monatseinkommen hier. Deswegen fährt hier auch niemand Auto.

Wir fahren zu Martin und begrüßen die Familie, dann geht es weiter in ein Cabaret, wo wir die anderen treffen. Es ist kurz nach neun und wir haben schon wieder eine Kalebasse mit Dolo in der Hand. Hier sind vier 5-kesslige Lehmöfen, eine richtige Großbrauerei. Alte, Ehepaare und Schulkinder kommen vorbei, trinken eine Schale Dolo und ziehen weiter. Langsam wird uns klar, wieviel der hier vorhandenen Infrastruktur der konstanten, günstigen Versorgung mit Dolo dient, wobei man erwähnen muss, daß der Alkoholgehalt von Dolo zwischen 3 und weniger als 1 % variiert.

Martins jüngere „Brüder“ (Cousins) Coucou und Justin kommen dazu. Sie sind schon fröhlich dabei. Justin kann englisch und hilft uns heute mit der Verständigung.

Wir fahren die Straße Richtung Banfora. Uns kommen drei Kamelreiter entgegen. Es sind richtig große, graue Kamele. Mit Reitern in grauen Kaftanen, mit grauen Turbanen und darunter schwarzen, alten Gesichtern mit stechende Augen. Sie mustern das Auto desinteressiert. Blicke aus einer anderen Welt.

Justin erzählt, dass diese Männer den ganzen Weg aus der Sahel hierher reiten und abseits der Stadt ihr Lager aufschlagen. Dann töten sie ihre Kamele und verkaufen die einzelnen Teile sehr teuer weiter, denn dem hier sehr seltenen Kamel werden starke medizinische und magische Eigenschaften nachgesagt: Ausdauer, Stärke, Intelligenz, Fruchtbarkeit. Männer wie sie werden „Shaman“ genannt. Sie lass sich die Kamelteile mit Gold bezahlen, das hier geschürft wird, und reisen dann wieder in den Norden.

Vor drei Jahren hätten Shamanen in Tonkar bei Gaoua einen Jungen geraubt und ermordet, um mit dem Kopf eine besondere Form von Magie zu machen. Die Polizei unternahm wohl wenig und es gab einen kleinen Aufstand.

Wir biegen von der Hauptstraße links auf eine Buschpiste ab, Schneider fährt den 190er exzellent über die schwierigen Bodenverhältnisse.

Wir kommen zu einem ersten Weiler, der auf einem kleinen Hügel über der Feldern, hier ist Überflutungsgebiet des Flusses Poni, und alle Felder werden hier im September unter Wasser stehen.

Es ist ein typisches kleines Lobidorf: Der große Baum in der Mitte, die kleinen runden Vorratshäuser und die fensterlosen Lehmhäuser mit den Baumstammleitern.

Wir werden freundlich begrüßt und einer der älteren Männer holt ein Balafon heraus und spielt für uns. Es ist sehr ähnlich wie Martins Balafon, auch mit einer kleinen Statue unter dem tiefsten Bass-Klangstab.

Hier kommt Coucou her und auch hier hat auch mal ein berühmter Balafonist gewohnt, aber keiner von den CD Aufnahmen. Sein Grab ist mitten im Hof und jetzt wird es gerade zum Trocknen von Krügen verwendet. Im Kopfteil des Grabes ist zentral ein Balafon-Klangstab eingemauert, außerdem ein Flasche Brakina (verkehrt rum, damit es dem Verstorbenen „in den Mund fließt“) und Töpfe und ein Teller.

Nach einer Runde Eau de Feu machen wir uns wieder auf den Weg und fahren weiter auf der immer abenteuerlicher werdenden Hubbelpiste durch das Land der Lobi.

Die Natur ist  wunderschön in ihren saftigen Grüntönen und man sieht sehr dicke alte Bäume, die teilweise von Blitzen und Feuer augehölt in voller Blüte am Wegesrand stehen und in deren Stämmen 5-6 erwachsene Menschen Platz haben können.

Motorräder, Trikes mit Ladefläche und andere Gefährte begegnen uns und manchmal sieht man fast mythisch wirkende alte Männer in Lumpen irgendwelche Pflanzen pflücken. Coucou & Justin informieren uns in hoher Lautstärke über die interessanten Eigenheiten ihrer Heimat und rufen uns nach fast jeder Anekdote zu: , Are you happy ? ', We are very happy !' - , Ja, Wir sind auch sehr glücklich !', bestätigen wir jedes mal.

Nach einer endlos scheinenden Strecke über Felsen und roten Lehm – der 190 D schleift oft mit der Bodenplatte über spitze Steinhügel und manchmal schießt eine rote Staubwolke von unten in die Beifahrerkabine -  biegen wir links ab und kommen an ein kleines Haus von Freunden unserer Freunde. Wir werden von dem örtlichen Grundschuhllehrer, seiner Frau und 2 Kindern begrüßt und es gibt erstmal eine Runde selbstgebranntes Eau de Feu. Die Grundschule liegt gleich ein paar Meter weiter. Der dreiteilige, rote Flachbau dient den Kindern aller umliegenden Höfe zur Bildung.

Nach kurzem Aufenthalt steigen wir wieder ein, nehmen die beiden Kinder mit und fahren einen schmalen Lehmweg zwischen Feldern weiter Richtung des Ortes, an dem Palé Tioionté begraben sein soll. Es scheint als könne es ländlicher als hier nicht mehr werden.

Wir lassen den Benz an einem Feldrand stehen, folgen einem Fußpfad durch den Busch und erreichen schließlich einen äußerst abgelegenen Lobi-Hof in typischer Bauweise mit Dolo-Kochstelle, unterschiedlichen Gebäuden und Wirtschaftsbereich, eingeteilt in verschiedenen Ebenen.

Zentral liegt ein uralt aussehendes Tam Tam das, wie wir später erfahren, nur dort liegt wo ein großer Mann begraben wurde.

Wieder werden wir sehr schüchtern, aber herzlich empfangen und Martin erklärt sehr bedacht anhand der Booklet-Kopien was die weißen Männer herführt.

Der Mann, der sich als Tioiontés Sohn Palé entpuppt und die anwesenden Frauen verschiedenen Alters sind sichtlich gerührt und begrüßen uns ein zweites Mal. Es wird Eau de Feu gereicht und die % scheinen sich heute, genauso wie die allgemeine Stimmung, kontinuierlich von Station zu Station zu steigern.

Mitten im Hof steht Palé Tioiontés Grab in Form eines massiven Lehmschreins, dessen Oberfläche blankpoliert ist und als alltägliches Objekt zum Arbeiten, Sitzen, Trinken, Essen, Lagern etc. benutzt wird. Am Kopfende gibt es eine Art Tafel, auf die grob sein Name, Geburts- und Todesjahr eingraviert sind. Auf einer Seite ist die glatte Oberfläche abgeplatzt und der massive Grabkörper von Regen ausgewaschen. Man kann einen blauen, umgedrehten Metalltopf sehen.

Der große Mann ist tot, aber immer noch mitten unter seiner Familie.

Palé verschwindet kurz und kommt mit dem Balafon seines Vaters zurück das aussieht, als wäre es sehr lange nicht benutzt worden.

Er möchte für uns spielen, da wir den sehr weiten Weg von Europa hierher gemacht haben und es ist unbeschreiblich, magisch.

Seine Spiel wie auch sein Aussehen erinnern sehr stark an seinen Vater…das Brummen beim Spielen ist etwas leiser und weicher und die Rhythmen und Auflösung der Harmonien sind rational nicht zu erfassen.

Da ist so uralte Information, manifestiert in Körperlichkeit und unprätentiös, animistisch gelebter Alltags-Spiritualität, die in Form absolut futuristischer Klänge in einem eigenen Raum erklingt. Space is the Place. Es klingt wirklich, als würde dieses unglaublich gut klingende Instrument nicht draußen neben einem Baum, sonder in einem für die Frequenzen perfekt ausgemessenen Raum gespielt werden.


hier die Tondatei >> https://soundcloud.com/mirrorworldmusic/tioiontes-village-1-pale-17-06-2014


Das extrem harte, existentielle Leben dieser Menschen im letzten Winkel des Lobi-Landes und der dazugehörigen Musik auf allerallerhöchstem Niveau ist wirklich an Extremem nicht zu überbieten. Energie - Life takes care of itself - wahrscheinlich ist die allgegenwärtige Musik hier einer der großen Energiespender, der sich seit tausenden von Jahren immer weiter verfeinert und gesteigert hat, so wie die Dolo-Küche und die % des Eau de Feu.

Als zweites spielt Palé das Stück Déjé, von dem es 2 Versionen seines Vaters auf der ersten CD gibt, und nach dem ersten Drittel fällt Schneiders Rekorder aus, dessen Batterien eigentlich noch 2 von 3 Lade-Striche hatten. Manche Dinge sind anscheinend nicht für die Dokumentation & Ewigkeit gedacht sondern nur für den Moment.

Nach 3 Stücken bedanken wir uns bewegt und lassen Palé und seiner Familie über Justin und Martin einige Worte des tiefen Dankes für die Musik und dafür ausrichten, dass wir Tioiontés Grab sehen durften, wo er doch so einen großen Eindruck auf uns im weit entfernten Berlin gemacht hat. Nur Martin kann mit ihnen kommunizieren, da sie einen besonders seltenen Lobi-Dialekt und kein französisch sprechen. Sie lassen uns ausrichten, dass sie, die hier Lebenden sich sehr über unseren Besuch und Respekt freuen und das sei das Wichtigste. Tioionté sei tot und nicht mehr hier.

Auf dem Rückweg zum Auto werden wir auf ein Feld geführt, auf dem eine alte Frau an einen Baum gelehnt sitzt und lächelt. Es ist Tioiontés Witwe. Sie wirkt trotz ihre hohen Alters irgendwie jung und strahlt eine große Wärme aus.

Nach Begrüßung und kurzem Gespräch mit ihr fahren wir wieder den geschlängelten Trampelpfad zurück, treffen zwischendurch noch zufällig den bunt angezogenen Techniker der Gaoua Radio Station auf seinem Motorrad und liefern die beiden kleinen Kinder bei ihren Eltern, dem Grundschullehrer und seiner Frau ab. Dort gibt es erstmal Mittagessen (Mais Püree mit leckerer, schleimiger Kräutersoße) und eine weitere Runde Eau de Feu! ,Are you happy ? We are very happy ! The most important thing is that you are happy and we are happy !!!’

Alle klatschen und schnipsen sich gegenseitig mehrfach mit Händen und Ringfingern ab.

Wir haben den Eindruck, dass unser gemeinsamer Trip auch etwas sehr besonderes für unsere Lobi-Freunde ist und das ist genial !

Wir fahren die Ralley-Strecke zurück nach Gaoua und kehren dort auf einer Strecke von 300 Metern dreimal ein. Coucou verkündet lautstark, dass er jetzt einfach dieses lokale Bier hier braucht. Wir trinken Dolo und Schneider zeigt Martin seinen kleinen Korg monotron Synthesizer und wie man mit ihm filtern und modulieren kann. Martin spielt spontan einige uns bekannte Lieder auf der kleinen Gleit-Tastatur und wir raten um welche es sich handelt. Er ist sichtlich fasziniert von dem Instrument und spielt es sehr gut. Zum Schluß spielt er einen Song, den jeder kennt und dessen Text in etwa so geht: "Maria Ma Coco Maria Ma, Maria Ma Coco Maria Ma - Otekiou Manbe".

Wir stimmen alle mit ein und fahren laut singend zur nächsten Schänke. Es ist ein Treffpunkt für alle umliegende Dörfer und wirkt irgendwie wie eine ländliche Rockerkneipe, in der wir wieder entfernte Verwandtschaft von unseren drei Freunden treffen. Wir probieren gegrillte Schweineschwarte mit einem intensiven Chilli-Würzsalz.

Plötzlich hören wir eine laute Auseinandersetzung zwischen Coucou und ein paar Männern. Sie schreien sich lautstark an und wir sind etwas verunsichert, da wir diese Art von Streit hier eigentlich noch nicht gehört haben. Justin erklärt uns, dass es sich um unser nächstes geplantes Ziel dreht und der Dorf-Älteste des Ortes, an dem Hien Bihoulèté begraben ist, ein Problem mit unserer Anwesenheit und unserem Plan dort hinzufahren hat. Nach einigen Minuten scheint der Streit beigelegt und wir fahren weiter.

"!!! Maria Ma Coco Maria Ma, Maria Ma Coco Maria Ma - Otekiou Manbe !!!"

Die Strecke erreicht neue Schwierigkeitsrekorde und an einigen Stellen müssen alle außer dem Fahrer aussteigen, damit der 190er die kleinen steilen Lehm- und Felshügel nehmen kann ohne ganz oben hängen zu bleiben und frei zu schwingen wie eine Wippe. Wir fahren durch eine wunderschöne bergige Landschaft immer weiter nach oben und können sehr weit in alle Richtungen sehen. Hinten rechts kann man die Grenze zu Elfenbeinküste und hinten links die zum c.a 18 Kilometer entfernten Ghana sehen. Wir erreichen auf der Spitze des Berges eine Ansammlung von kleinen Gehöften, passieren eine Brunnenstelle, an der Kinder mit Wasser plantschen und halten kurz unterhalb des höchstgelegenen Hofes. Die Luft ist sehr frisch und wir laufen um die unterschiedlichen Gebäude herum auf die andere Seite. Wir sehen keinen Menschen an den halb verfallenen Gebäuden. Von weiter Ferne kommt eine Frau, einen 3-4 Meter langen Baumstamm auf dem Kopf balancierend den steilen Abhang hochgelaufen und verschwindet wieder hinter den Lehmbauten. Ein alter Mann kommt von einer anderen Seite um die Ecke und setzt sich zu uns auf einen Baumstamm. Alle sind auf einmal sehr Ruhig und als ein zweiter alter Mann und die Schwester Bihoulètés um die Ecke biegen, erklärt Martin wieder anhand der Kopien warum wir hier sind. Wir werde wieder begrüßt und eingeladen einige Fotos zu machen. Die Landschaft ist fantastisch und wir haben Fantasien von kleinen Skilifts an den grünen Hügeln.

Hien Bihoulèté sei in Gaoua gestorben und Martin hat damals sofort als erster für ihn Balafon gespielt, bevor sein Körper dann zurück an diesen Ort gebracht wurde, dem Hof den Hien Bihoulètés Vater vor langer Zeit gebaut hatte. Sein Grab liegt seitlich an eine Ecke des Gehöfts und ist ein kleiner Lehmhügel, auf den Zweige und Grünes gelegt wurde. Wir sitzen und stehen eine Weile um den kleinen Hügel herum, legen Münzen und Schneider sein Gitarrenplektrum in das Grabfetisch, machen Fotos und gedenken dem großen Musiker bevor wir uns auf den Rückweg machen.

Dann werden wir nochmal auf eine Bank gebeten. Das Familienoberhaupt macht jetzt den Streit an der Straße wieder gut, in dem er uns 0,33 Liter Eau du Feu einlädt. Er muss es selber bei einer der anwesenden Frauen kaufen.

Jetzt kommen auch immer mehr Kinder aus den Häusern. Wieder haben wir zu wenige Geschenke für alle dabei. Aber was soll man hier schenken? Was schenkt man Kindern in Fetzen, mit Hungerödemen und  geschwollenen Bäuchen? Gegen undefinierte Krankheiten sind manchen strahlenförmige Narben um den Bauchnabel eingeritzt. Kinder, die offensichtlich nicht genug zu Essen haben, keine ausreichende medizinische Versorgung und wenig Chancen auf Bildung. Es ist schön zu sehen, wie sie sich freuen, wenn man ihnen eine kleine Packung Wachsmalkreide schenkt, aber auf der anderen Seite könnte man heulen, weil man ihnen nichts anderes gibt.

Coucou findet unter einem Vordach eine Tochter von Bihoulétè. Sie ist vielleicht 12 und hat ein gebrochenes Bein. Es ist mit Stöcken und Stoffbahnen geschient und liegt zwischen jeweils zwei großen Backsteinen links und rechts. Sie hört Radio.

Wir verabschieden uns von Bihoulétès Familie und den ganzen Kindern und fahren über Stock und Stein zurück zu dem Straßen-Dolo-Grill.

Wir bekommen noch ein bisschen gebratene Schweineschwarte und trinken jeder eine Schale Dolo. Das Dolo am späten Nachmittag schmeckt saurer und alkoholischer als das Morgen-Dolo.

Wir brechen auf und besuchen ein Initiationsfest. Etwas abseits der Straße nach Batiè liegt eine große Wiese. Vielleicht zweihundert Menschen sind in lockeren Gruppen über das Gelände verteilt.

Auf den ersten Blick ist es sowas wie ein Gemeindefest: Alt und Jung gemischt, Dolo-Ausschank, halbe Ölfässer zum Grillen und daneben wird gerade ein ganzes Schaf zerhackt. Man sieht nichts Geheimnisvolles, oder was man mit „Initiation“ in Verbindung bringen würde. 

Wir treffen Somnda und freuen uns sehr ihn zu sehen. In der Mitte des Geländes ist ein Bastmattendach aufgestellt und darunter spielen zwei Balafonisten und zwei Borospieler.

Viele alte Frauen und Kinder laufen begeistert auf uns zu und wir müssen tanzen. Noch nie haben so viele Leute über uns gelacht.

Das Fest beginnt erst allmählich, und Coucou und Justin sagen, dass wir jetzt aufbrechen müssen, denn sonst blieben wir die ganze Nacht. Das Fest erstreckt sich über mehrere Tage.

Martin stellt uns noch seiner Tante der Schwester von Tiaportè vor, die schon alles von unserer Mission weiß. Auch eine sehr sympathische Frau.

Im Auto versucht mir Justin zu erklären, wie das mit der Initiation funktioniert, aber er will es mir andererseits nicht erzählen. Er will mir die Wahrheit sagen, aber sagt auch, dass es nicht die Wahrheit ist. Es ist auf jeden Fall wirklich wichtig und wirklich kompliziert.

Wir laden die drei noch zu uns in die Auberge ein denn sie meinten, daß es in ihrer Kultur brauch sei alle zusammen denjenigen zu besuchen, der krank zuhause liegt um ihn aufzuheitern. Martin und Schneider spielen eine kurze Session für Arved mit dem Korg monotron. Ein großer Spaß.



18 - 06 - 2014


Arved hat gestern den Blog neu aufegsetzt und heute klappt es endlich nach drei Stunden mit dem hochladen. Schneider hatte sich mit Martin zum gemeinsamen Komponieren verabredet, aber Martin ist nicht fit.

Stattdessen checken wir den einzigen Laden für Holzstatuen, den wir gefunden haben. Die Statuen der Lobi sind berühmt für ihre Ausdruckskraft, aber nachdem wir in der Reisevorbereitung oft in Wolfgang Jaenickens Blog LINK (super-kenntnissreich!) gelesen hatten, finden wir die Auswahl hier nicht attraktiv, viel unfertiges und teurer als in Berlin.

Wir wollen das erfolgreiche hochladen des Blogs feiern und gehen ins „beste“ Restaurant Gaouas, es ist zwar gut, aber nicht so gut wie bei Aysha in der Auberge Donsamby.



19 - 06 - 2014


Schneider, Martin, Christian am TamTam, Aime, Roland und zwei weitere Musiker proben das gemeinsame Lied. Schneider kann seinen Korg monotron Synthesizer an eine halbe Sharp-Kompaktanlage anschließen und es klingt super.



20 - 06 - 2014


Trotz Schlappheit arbeitet Schneider heute weiter mit Martin, Christian am zweiten Balafon, Aime und einem jungen Accompagner am Song „Kparr Dire“. Colette und Schneider singen.

Die Aufnahme läuft gut.

Beim Mittagessen besprechen wir mit Martin und Roland, wie am besten eine Regelung zum Urheberrecht und zur Verwertung von „Kparr Dirè“ getroffen werden kann

Arved und Julian fahren mit Martin zum Bürgermeisteramt, um deinen Vertragsentwurf zu diskutieren. Aber der zuständige Beamte ist schon im Feierabend, wir treffen ihn später mit dem Polizeichef und einem weiteren wichtigen Offiziellen in einem Cafe. Er ist ausgesprochen nett und hilfsbereit.

Wir diskutieren mit der Hilfe von Roland ein wenig zu dem Thema. Festgeschriebene Rechte in einer Kultur, die insbesondere in der Musik ausschließlich auf die Vermittlung von Mensch zu Mensch setzt scheinen sich zu widersprechen, sind aber wichtig ab dem Moment, wo damit Geld verdient werden kann. Wir verabreden uns für den nächsten morgen um 9:00 im Hotel D'Administration.

Dann bekommt Martin einen Anruf: Christians Vater ist eben gestorben. Wir sind erschüttert. Eine Stunde nachdem wir die Aufnahme mit Christian abgeschlossen hatten, ist sein Vater im Krankenhaus gestorben.

Wir fahren mit Martin zu Cie ebenfalls einem sehr bekannten Balafonisten in Gaoua. Wir werden das erstemal in ein der Hütten gebeten, fast stockfinster, Italien – Costa Rica läuft auf einem winzigen Fernseher. Cie ist supernett und sehr freundlich. An der einen Wand hängt fast im Dunkeln ein großes TamTam, daneben eine Lobi-Zwille, mit der Vögel und Kleinwild gejagt werden. Der Griff ist kunstvoll geschnitzt. Wir fragen, ob wir seine Balafone sehen dürfen. Wir werden in einen Nebenraum geführt. Ein winziges Fenster gibt ein wenig diffuses Licht. Zwei Zwillingsbalafone hängen an der einen Wand, an der anderen ein großes Begräbnisbalafon. Darunter eine Schrein: Vielleicht 60 cm hoch, aus Lehm, mit Hühnerfedern drauf. Man kann das frische Hühner-Blut in der feuchten Hitze deutlich riechen.Vor dem Schrein ist ein Balafon Klangstab senkrecht in die Erde gegraben.

Wir fahren mit Martin zum Haus von Christians Vater. Es liegt nicht weit von Martins, an einer platzartigen Kreuzung zweier Wege. Vielleicht 50 Menschen sitzen auf Bänken über den Platz verteilt. Auf einer Bank vor dem Haus sitzt alleine die Witwe und klagt. Ein Bettgestell wird aus dem Haus getragen, im Haus wird die Leiche gewaschen und vorbereitet. Christian ist unterwegs etwas zu besorgen. Wir besprechen mit Martin, dass wir später wiederkommen und brechen auf.

Schneider ist krank, kommt aber trotzdem später wieder mit zum Begräbnis. Wir finden den Platz im Gewirr der dunklen Wege wieder, indem wir aus dem Autofenster lauschen und in der Ferne TamTam und Balafon  hören.

Jetzt sind bestimmt 150 Menschen über den Platz verteilt, Dolo wird serviert, die Stimmung ist, warm, solidarisch, traurig, aber auch fröhlich. Der Platz wird von zwei starken Neonröhren erleuchtet. In der Mitte: Begräbnisbalafon, Christian am TamTam und, neu für uns, eine Metallklangstab der in geraden 16teln drübergeklickert wird. Er begleitet jede Begräbnismusik, bis der Körper unter der Erde ist. Frauen tanzen um die Band, viele haben frische Zweige oder Fliegenwische in der Hand. Dahinter steht am Haus ein Bettgestell mit Matratze und darauf liegt der Körper von Christians Vater. Drumherum sitzen ältere Frauen, Witwen, Schwestern, Verwandte. Manche singen ab und zu zum Körper.

Neben dem Kopf steht ein Topf mit frischen Kräutern. Am Fußende des Bettgestells eine Tonschale mit Kauri Muscheln und Münzen.

Auch wir gehen zum Bettgestell und werfen jeder eine Münze in das Gefäß mit den Kauris.

Wir begrüßen Christian, er ist schweißgebadet, man merkt, dass er traurig ist, lange steht er alleine. Er hat einen zusammengenähten Antilopenbalg umgehängt wie einen Beutel, darin sind Münzen und Kauris. Schließlich geht er an der Band vorbei wirft ihnen eine Hanvoll Münzen und Kauris hin und auch in das Gefäß neben dem Totenbett.

Justin erklärt, dass man mit dem Geben der Münze den Tod anerkennt und akzeptiert.

Arved und Julian brechen mit Christian im Benz auf, um aus Martins Haus die Zwillingsbalafone zu holen.

Als sie zurückkommen sind die ersten schon eingeschlafen, aber es kommen auch immer wieder neue Gäste, die Feier wird die ganze Nacht gehen und am nächsten Tag sind wir um 15:00 zur großen Beerdigungsfeier im Kreis der alten Mangobäume eingeladen.



21 - 06 - 2014


Um neuen Uhr ist der Termin bei Monsieur Traore dem Kulturbevollmächtigten für ganz Süd-West Burkina-Faso. Martin, Coucou und Roland kommen mit Schneider müsste eigentlich im Bett bleiben, aber kommt trotzdem mit. Im Büro von Monsieur Traore ist es so angenehm kühl.

Schneider hat die gestrige Aufnahme schon gemischt und gemastered und es geht jetzt hier um zwei Sachen:

1. Wie kann Martin an die Erlöse aus dem Verkauf der Musik seines Vaters kommen?

2. Unterzeichnung eines Vertrages der das Urheberrecht und die Verwertung des Songs „Kparr Dirè – Learning by Travelling – Lernen durch Reisen“ regelt..

Julian hatte mit seinem mangelhaften Französisch einen Vertrag entworfen, dessen sprachliche Blüten noch erörtert und korrigiert werden müssen..

Zuerst geht es um die Frage, ob Martin Schneider bevollmächtigen soll in seinem (Martins) Interesse die Rechte seines Vaters zu verfolgen, aber der anwesende Vertreter BPSB (burkinabe Entsprechung der GEMA) rät zu einer Anmeldung der Titel bei der BPSB, die mit der französischen SAGEM (frz. Entsprechung der GEMA) kooperiert.

Der Kulturbeauftragte stimmt ihm zu. Dafür muss Martin aber erst mal selber Mitglied werden: 7500,- FCFA Mitgliedsbeitrag, zwei Passbilder (auch nicht billig hier) und er muss nach Bobo zum Anmelden fahren. Aber vermutlich ist es so das beste.

Auch „Kparr Dirè“ kann dann über die BPSB angemeldet werden. Dafür muss dann noch einen CD mit dem Lied abgegeben werden, die wir im Anschluss brennen werden.

Der Vertrag wird ein wenig korrigiert und verständlicher gemacht, ausgedruckt und von allen unterschrieben und feierlich in gelbes Seidenpapier eingeschlagen.

Danach laden wir Monsieur Traore und den Vertreter der BPSB in unsere Auberge zu einem Getränk ein. Schneider spielt die Mischung von „Kparr Dirè“ vor und alle finden es sehr gut.

Monsieur Traore freut sich über die kultureller Kooperation und den Beginn einer gemeinsamen Arbeit. Wir auch.

Um 16:00 kommen Arved und Julian zur Begräbnisfeier. Schneider ist zu krank und bleibt im Bett.

In der Nähe von Martins Haus ist ein alter Begräbnisplatz.

Sieben große, uralte Mangobäume bilden einen Kreis. In der Nacht ist auch noch eine Nachbarin von Christian gestorben. So werden jetzt hier zwei Begräbnisse gefeiert. Die Assoziationen zu dem Wort „Begräbnis“ haben wenig mit dem zu tun, was hier passiert: Über 500 Menschen haben sich im Schatten der Mangobäume versammelt. In der Mitte des Kreises stehen Balafon und TamTam. Es gibt eine lose Trennung zwischen Frauen und Männern. Die Frauen sind besonders farbenprächtig und großartig angezogen, die meisten mit Schal um den Kopf. Viele Männer haben sich auch schick gemacht.

Wir begrüßen Martin und Christian. Christian ist deutlich fertiger als noch gestern Abend. Er trägt noch den Antilopenbalg. Er bietet uns seine Schale Dolo an. Immer wieder kommen Gäste zu ihm, geben ihm einen 100 FCFA Münze und reden lurz mit ihm. Manche ältere Frauen reden richtig lang mit ihm. Die Münze kommt in den Antilopenbalg.

Cie, der Balafonist, den wir gestern getroffen haben, ist auch da, er hat gerade zu Ende gespielt. Er trägt auch einen Tierbalg, in den er die Münzen und Kauris tut, die den Balafonisten zugeworfen werden.

Dann kommt ein starker Moment: Martin steht auf und geht zum Balafon, das verlassen in der Mitte des Baumkreises und den 500 Menschen steht.

Er setzt sich hin als wäre er ganz alleine und beginnt sich mit dem Balafon leise zu unterhalten. Dann wiederholt er eine kleine Kadenz ein paar mal, der Tam Tam Spieler steht auf und setzt sich zu ihm. Ein Mann kommt zu ihnen und stellt eine leere Tonschale neben sie und einen großen Sack mit Kauris, er nimmt eine Hand mit Kauris aus dem Sack und wirft sie in die Schale, viele tuen es ihm nach.

Ein Rhythmus wächst zwischen Balafon und TamTam und ein Accompagner kommt dazu und übernimmt den Metallklangstab für die Begräbnis 16tel. Und dann erst kommt Leben in die Gesellschaft. In großen Gruppen strömen sie auf die Tanzfläche um die Band. Viele Männer stehen direkt um die Band, singen und werfen Münzen und Kauris.Drumherum vor Allem Frauen, die toll tanzen. Wir können es nicht richtig beschreiben: Die Füße stampfen sehr, sehr energetische Viertel und Schultern und Brust gehen rein-raus-rein-raus, sie poppen und locken leicht verschoben in 16tel über den Rthythmus der Füße. Polyrhytmischer Tanz zur polyrhythmischer Musik. Das Poppen und Locken geht auf superhohem Energieniveau vielleicht 10-30 Sekunden, dann kommt eine Abschlusspose, halb Ballett, halb Triumphfaust, unterschiedlich von Tanzendem zu Tanzendem.

Manchmal passiert das ganze zu zweit voreinander, dann wird es am Schluss eine Umarmung: Ganz klar Battle und Versöhnung, Ausdruck der kriegerischen Identität der Lobi.



22 - 06 - 2014


Wir finden die Ursache für die klappernde Motorhaube: Der Querdämpfer des rechten Vorderrads hat seinen Haltekopf im Motorraum durchschlagen und das Rad wird quasi durch die Motorhaube gefedert. Wir halten an der nächsten „Werkstatt“, Issaka hilft uns telefonisch mit dem bestmöglichen Vorgehen und wir fahren mit Mechaniker zur Werkstatt des Krankenhauses.

Der Hof des Krankenhauses ist ein Traum für Fotografen und Filmer: ein großer Haufen alter, rostiger Krankenhausbetten, ein Zahnarztstuhl aus den 50ern, verrostete Zapfsäulen, ein alter Citroen Krankenwagen, das innere voll mit blutigen ´Verbänden und Spinnweben.

Nach 5 Minuten kommt ein weiterer herbeitelefonierter Mechaniker mit dem passenden Ersatzteil. Der Benz wird hochgekurbelt und das Teil fachmännisch ausgetauscht. Keine 15 minuten später ist alles wieder geflickt: Kostenpunkt umgerechnet 30,- €.

In der Nacht ist wieder jemand gestorben: Ein „grand frere“ (also vermutlich älterer Cousin) von Martin und Coucou in Gimbongil. Sie müssen da hin und wir verabreden uns für später.

Obwohl Schneider immer noch krank ist fahren wir zu dritt 40 km zu den Ruinen von Loropeni:

Es sind ungewöhnliche, große Steinruinen ungeklärten Ursprungs, vermutlich 11 Jhd.

Die Piste ist bucklig und wellig und wir zittern mit unserem Auto mit.

Und 40 Kilometer Buckelpiste sind weiter als man denkt.

Hinter Loropeni kommt die Einfahrt zu den Ruinen. Seit 2009 Weltkulturerbe der UNESC: http://whc.unesco.org/en/list/1225

Hier ist die Straße perfekt, drei schöne Neubauten mit Klimaanlage, ein Kassenhaus, aber alles zu. Hhmm. Eine sehr, sehr elegante Dame kommt auf einem Motorroller angefahren. Sie erklärt uns, dass es keine gedruckten Tickets mehr gibt und wir bei ihr bezahlen sollen.

Die Ruinen sind super. Totales Indiana Jones Erlebnis. Mitten im Wald bilden 5 Meter hohe Mauern aus sehr regelmäßigen Steinen ein Viereck von etwa 50 mal 50 Metern. Es gibt nur zwei kleine Eingänge.Die Mauern sind unten 1,50 breit und verjüngen sich nach oben. Sie sind so gut erhalten, weil sie mit einem Mörtel aus Sheabutter-Nuss und Honig zusammengefügt sind. Das Zeug ist superhart und wasserfest. Bäume wuchern über die Mauern.

Vermutlich war es einer der drei ersten Lobi-Stämme, die die Festung gebaut haben, damals gab es hier viele Feinde und viele Löwen. Bei Ausgrabungen wurden Spuren gefunden, die auf Handel mit Salz, Gold und Eisen hinweisen.

Die elegante Frau führt uns ein bisschen, und erklärt uns, wie die damals Metall geschmolzen haben. Schneider zeigt ihr seinen Synthesizer.

Wir fahren zurück. Die Buckelpiste tut Schneider Magen nicht gut. Wir verschieben die Abschiedsparty auf morgen und schauen Fußball.



23 - 06 - 2014


Wir brennen die letzten CDs und müssen noch die Cover der beiden Radio France CDs ausdrucken, damit Martin in Bobo bei der GEMA ähnlichen Verwertungsgesellschaft seine Ansprüche anmelden kann. Die Bustickets für die Reise nach Bobo morgen werden besorgt.

Schneider etwas fitter, aber noch nicht gesund und auch Arved und Julian sind schlapp. Die vollen Tage haben ihre Spuren hinterlassen.

Arved und Julian besuchen das Museum. Es ist in einem ehemaligen französischen Kolonialgebäude. Wir erfahren noch ein paar wichtige facts. Bei den Lobi sind die Frauen verantwortlich für: Haushaltskasse (früher Gold), Doloherstellung, Wasserversorgung, Kochen und sie sind die ersten, die das Feld bestellen (wegen Fruchtbarkeit).

Die Männer sind verantwortlich für Jagd, Eisenwaren-/Waffenherstellung, Musik und alles mit Fetischen, Weissagungen, etc.

Ein traditionelles Lobihaus ist aufgebaut, wie wir viele schon in Natura gesehen haben. Man kommt rein und steht im Eingangsbereich: links das Zimmer für Ziegen und Schafe, zweite Tür links: Zimmer der ersten Frau und ihrer Kinder, in der Mitte des Hauses der Kornspeicher, dahinter die beiden Mahlsteine. Erste Tür rechts: Hühner, zweite Tür rechts: Zweite Frau und ihre Kinder. Der Mann schläft in einer kleinen Kammer auf dem Dach.

Im Museum ist das Balafon von Nani Palé´ (http://www.lobi.gov.bf/textes/musique.htm), dem berühmtesten Balafonisten. Er ist 1982 gestorben und wird immer noch verehrt. Wir kennen nur eine Aufnahme von ihm, die auf einer Compilation der BBC ist, und auf der er  ungewöhnlich viel singt. Er hat zu seiner Zeit Konzerte in Ghana, Cotes D'Ivoire und Mali gegeben.

Gestern hat die Regierung „Salzbomben“ ausgebracht, um die Wolken zum abregnen zu bringen, weil es hier für die Jahreszeit noch viel zu wenig geregnet hat und die Ernte bedroht ist.

Und jetzt zieht tatsächlich ein schwerer Gewittersturm auf. Schwarze Plastiktüten fliegen wie seltsame Vogelschwärme hoch durch die Luft.

Am Nachmittag treffen wir Martin und Somda zum Verabschieden. Wir merken, dass es besser wäre mit Martin in Bobo zur Behörde zu gehen, wir kaufen ihm Bustickets und verabreden uns für Mittwoch in Bobo, um dann Donnerstag gemeinsam zur Behörde zu gehen.

Arved und Somda sprechen über den Mythos der Entstehung des Balafons.

Aber Somda macht klar, dass es hier keinen einen „wahren“ Mythos gibt (den im Booklet hatte er noch nicht gehört), sondern hier gibt es eben viele Geschichten. Manche sind für manche wichtiger als andere. Er erzählt eine Geschichte:

Ein junger Mann kommt zum Fluss. Er will übersetzen, aber kentert und ertrinkt beinahe Die Flußgöttin Manihouta findet ihn wunderschön und möchte ihn für sich behalten. Sie verspricht ihm Gold und alle Reichtümer der Welt, wenn er bis ans Ende aller Tage nur bei ihr bleibt und den Menschen entsagt. Die Menschen seien nicht gut, sie lassen einen im Stich.

Der junge Mann ist sich aber nicht sicher, wie er sich entscheiden soll. Der Wassergeist gibt ihm eine Frist von drei Tagen. Nach drei Tagen sagt ihr der junge Mann: Ich bleibe bei den Menschen. Reichtum kann vergehen, aber die Menschen bleiben. Und ich liebe die Menschen.

Antwort der Flussgöttin: Du hast die Menschen gewählt und ich gehe weg.

Mit Somda und Martin gehen wir zum Grab von Pali Nane. Es liegt nur wenige Meter von unserer Auberge neben der Straße nach Batiè. Martin kann sich noch erinnern wie Pali Nane starb, denn er spielte gerade im Hof von Martins Vater und starb mitten im Spiel und schlug mit dem Kopf auf sein Balafon auf. Er war auch ein „grand frere“ von Martins Vater.

Während wir am Grab stehen, kommen ein paar Männer dazu. Einer hat ein kleines, chinesisches Transistorradio mit SD Karten Slot, auf dem er uns Aufnahmen von Pali Nane vorspielt und erzählt, dass Pali der Patron von der ganzen Lobi-Musik ist.

Am Abend kommt noch Reno vorbei und holt sein Auto ab. Er arbeitet bei PLAN Burkina-Faso und kämpft gegen Aids, Malaria und Polio. Die Anzahl der HIV-Infizierten ist in den letzten Jahren von zweistelligen Prozentzahlen auf 2% gesunken. Aber insbesondere die zusätzlichen Erkrankungen, wie Malaria und Tuberkulose, senken die Lebenserwartung nach einer HIV Infektion hier dramatisch.

Malaria ist insbesondere bei den kleinen Kindern ein großes Problem, weil die Leute zu arm für Moskitonetze und Medikamente sind, und auch Polio bleibt dramatisch, obwohl die Impfung einfach und spottbillig ist.

Wir geben ihm einen Großteil unserer Reiseapotheke.

Am Abend geht es los mit Kanonenschläge. Erst vermuten wir, dass die Wolken jetzt mit Artillerie beschossen werden. Aber es ist nur der Ruf zu einer Begräbnisfeier. Vermutlich werden so von einer der abgelegeneren Siedlungen ohne Telefonempfang Menschen über einen Todesfall informiert und eingeladen. Die ganze Nacht durch hört man das TamTam und manchmal auch Flöten.



24 - 06 - 2014


Am Vormittag packen wir unsere Sachen nach 12 Nächten in Gaoua. Der Hauptzigarettenvertreter von Burkina Sud Ouest, Erik, kommt mit sieben Zigaretten-Promoterinnen vorbei, die gerade auf Tour sind und in der Auberge übernachenten.

Wir verabschieden uns ausführlich von Aysha, Audrey und der ganzen extended family und fahren bei Martin vorbei, verabschieden uns auch dort, aber wir treffen ihn ja morgen schon wieder in Bobo.

Wir essen Mittag am Busbahnhof und Reno kommt noch vorbei und verabschiedet uns auch nochmal.

Der Bus ist nicht voll, was auch angenehm ist. Je näher wir an Bobo ran kommen, desto überwältigender wirkt der Straßenverkehr auf uns und das Gewühl der Läden. Die 12 Tage halb abseits der Welt, in einer 30.000 Einwohner Stadt, in der es aber nur 80 Autos gibt, haben unsere Sinne verändert.

Wir sind froh in der Villa Bobo anzukommen. Schneider geht es wieder besser.

Wir setzen uns an den Computer und machen den kurzen Clip für die Bundeskulturstiftung fertig und versuchen ihn über Nacht hochzuladen.



25 - 06 - 2014


Den Vormittag über beschäftigt uns der Upload des Films, Arved rechnet ihn immer kleiner und kleiner, aber der Upload wird immer wieder kurz unterbrochen und bricht dann ab.

Am Nachmittag kommt Martin an. Wir begrüßen ihn am Busbahnhof, dann holt ihn ein Cousin auf dem Mofa ab... Wir verabreden uns für den Abend im Samanke.

In der Villa Bobo arbeiten wir weiter am Upload und treffen uns dann mit Wamian, Martin und seinen Cousins im Samanke. Die WM wird auf Beamer übertragen, aber immer, wenn der Strom ausfällt sieht man Himmel eine riesige, blitzende Gewitterfront hinter der Stadt vorbeiziehen.



26 - 06 - 2014


Arved arbeitet weiter am Upload und Schneider und Julian treffen um 8:00 Martin und einen seiner Cousins vor dem Gelände der Semaine National de la Culture: Ein Riesengelände hinter dem Bahnhof mit vielen Pavillons, Parkanlage und kleinen schattigen Wäldchen, wo alle zwei Jahre die große Woche der nationalen Kultur gefeiert wird. Jetzt liegen hier Tonnen von Bastmatten und hunderte von Ölfässern. Auf dem Gelände steht auch das dreistöckige Gebäude des Bureau Burkinabe de le Droites des Auteures: die burkinabe GEMA.

Das Gebäude ist um einen luftigen, grünen Innenhof errichtet, in der Kantine werden gerade Croissants gebacken und es riecht sehr lecker.

Nathalie, die Direktionssekretärin empfängt uns.

Martin und wir möchten hier folgendes erreichen:

1. Martin wird Mitglied beim BPSB, um auch in Zukunft mit seinen Kompositionen Geld verdienen zu können.

2. „Kparr Dirè“, das Lied von Martin und Schneider wird angemeldet und kann dann ordentlich verwendet werden.

3. Martin kann die beiden Alben seines Vaters hier anmelden und ggfls Urheberrechte oder Rechte an der Aufnahme geltend machen.

Leider waren die Informationen, die wir vom Vertreter der BPSB in Gaoua bekommen haben unvollständig: Zur Anmeldung reicht nicht die CD mit Kparr Dirè, sondern es müssen mindestens drei Titel vorliegen. Dann braucht er zwei Passbilder, eine polizeilich bestätigte Kopie seines Ausweises und eine Bestätigung eines Radiosenders, dass Lieder der zwei CDs bereits in Burkina gesendet wurden.

Also teilen wir uns auf: Martin und sein Cousin machen Passbilder, Polizei und Radio und Schneider und Julian machen CD.

Um 11:00 treffen wir uns wieder dort. Fast überall erfolgreich, außer bei der Bestätigung des Radiosenders. Das muss Martin in Gaoua erledigen, weil in Bobo die CDs noch nicht gespielt wurden.

Nathalie beginnt mit der Anmeldeprozedur.

Jeder Titel wird angehört und bekommt ein eigenes Aktenblatt mit Instrumentierung und allen Angaben zu Komponist, Arrangeur, Instrumentierung etc.

Es dauert lange, aber das Büro ist klimatisiert, also kein Problem.

Arved und Schneider haben in der Zwischenzeit mehrere Orte versucht, um den Film hochzuladen, aber nirgendwo Erfolg gehabt.

Zwei Stunden später sind wir fertig und fahren auf den Rollern zum Ran Hotel und treffen Schneider und Arved.

Das Ran Hotel ist ein 70er Jahre Traum afrikanischer Architektur, mit entschiedenen Farben und expliziten Formen. Eine große, abgeschrammelte Eleganz, in der man sich ohne Probleme vorstellen kann, wie Fela Kuti nach einem Konzert in Bobo im Fellmantel mit seinen Ladies gefeiert hat.

Wir machen eine kleine Fotosession mit Martin und Schneider, dann muss Martin zum Bus und wir verabschieden uns jetzt für längere Zeit. Hoffentlich bis nächstes Jahr.

Wir laufen durch das Stadtzentrum, besuchen den Markt und kaufen die Bustickets für Morgen.

Am Abend sind wir wieder im Samanke. Nachdem das erfolgreiche Algerienspiel gefeiert wurde, beginnt ein Slam. Veschiedene eher HipHop orientierte Künstler bringen ein, oder zwie Songs, Comedy oder spoken word perfornmance.

Es ist politisch und spannend, aber wir sind platt. Wamian fährt uns netterweise an einem „Pain Anglaises“ Stand vorbei, wo man die ganze Nacht sehr leckere Toasts bekommt und dann nach Hause, in drei Stunden müssen wir wieder aufstehen, um den Bus nach Bamako zu bekommen.



27 - 06 - 2014


Im Morgengrauen brechen wir mit dem Bus nach Bamako auf.

Wir fahren wieder durch diese unwirklich schöne Landschaft. Sattestes Grün, röteste Erde und in der Ferne sanft geschwungene Hügel aus uraltem Gestein.

Die Grenze passieren wir inzwischen routinierter: Aussteigen, Laufen, Einsteigen 50 Meter fahren, aussteigen und das ganze viermal.

Der malische Zoll nimmt uns diesmal ganz genau unter die Lube, alle Koffer müssen geöffnet werden und insbesondere Julians GoPro und das Gorilla-Stativ von Arved wecken Neugier.

Ob das so ist, weil sie nach Waffentechnik, oder Journalistentechnik suchen, oder einfach nur technische Neugier, können wir nicht sagen.

In Bougouni ist Mittagspause, hier kreuzen sich vier Straßen: Im Norden nach Bamako (da fahren wir hin), im Osten nach Sikasso und Bobo (da kommen wir her), im Süden nach Cotes D'Ivoireund im Osten nach Guinea (Conakry), wo gerade Ebola tobt. Die Grenze ist keine 80 Kilometer und dann sind es nochmal ca. 80 km bis zu den Regenwäldern um Kankan, wo Ebola sich am heftigsten ausbreitet. Obwohl die Grenze (wahrscheinlich) geschlossen ist, ist es bei einer Inkubationszeit von bis zu 21 Tagen nicht unwahrscheinlich, das wir in Bougouni einem Infizierten begegnen. Laut MSF halten die Quarantänezonen schon lange nicht mehr dicht. Wir benutzen fleißig Handdesinfektionsmittel.

Die Dichte und Geschäftigkeit von Bamako überfordert uns wieder schnell. Die Abgase sind nach der tollen Luft in Gaoua kaum zu ertragen.

Wir fahren zum Hotel Tanmana und könne endlich mal wieder in Einzelzimmern schlafen.

Am Abend fahren wir ins Savana, hier hatten wir mit Paul Chandler so ein leckeres Steak gegessen, an das wir oft gedacht haben. Das Essen ist hier wirklich gut und mit französischem Anspruch geplant und durchgeführt.

Aber die Atmosphäre macht uns ein bisschen zu schaffen. 70 Prozent in dem Laden sind Franzosen und (vielleicht ist das nur unsere Projektion) sie sind keine Gäste, sondern eher Besitzer, das äußert sich subtil im Umgang mit den Kellnern, in der fast totalen Trennung zwischen „weißen“ und „schwarzen“ Tischen, oder im Umgang mit der (schwarzen) Band, die mit einer großen Selbstverständlichkeit gebeten wird leiser zu spielen, oder denen das Mikro weggenommen wird, um jemandem zum Geburtstag zu gratulieren.

Wir brechen auf und gehen nur wenige Meter weiter in Le Diplomat. Auch ein Maquis, aber keine Franzosen hier. Und hier spielt zu unserm großen Glück das Symmetric Orchestra. Absolut großartige Musik: Kora, Basskora, Bass, Schlagzeug und Gesang.

Die glasklaren Kora-Läufe perlen durch die Luft, der Gesang ist von so einer großen Sehnsucht und Leidenschaft, und wir sind glücklich.

Die Band hat einen Hauptsänger, Zoumana Diabate, der aber auch immer wieder von Gästen abgelöst wird.



28 - 06 - 2014

Wir relaxen den ganzen Tag.

Abends legt Schneider im Coin Rouge auf: Fantastische Atmosphäre und surreal, als die Club-Besucher in Bamako zu PAN SONIC tanzen.



29 - 06 - 2014


Unser Abflug ist für diesen Abend geplant und wir haben noch den ganzen Tag Zeit.

Wir fahren mit dem Taxi ins La Relax und wollen erstmal ordentlich frühstücken.

Wo gestern, dem Tag vor Beginn des Ramadan noch Torten und andere Leckereien am Fließband verspeist und herausgetragen wurden, herrscht heute gespenstische Stille. Die Auslagen sind leer und wir sind fast die einzigen Gäste.

Nach Kaffee, Schawarma und Salat fahren wir zurück ins Hotel Tanmana wo in der Lobby die Fußball WM im Fernseher läuft und wir gesellen uns dazu. Außer der Hotel Belegschaft und ein paar Frauen ist wieder der Franzose zugegen, der uns am Vortag schon durch morgigen Biergenuß in größeren Mengen aufgefallen ist und anscheinend zahlreiche Freundinnen hier hat, mit denen er hin und wieder irgendwo verschwindet.

Zu ihm gesellt sich alsbald ein Mann gleichen Alters, der mit ihm auf englisch kommuniziert. Wir sehen zusammen ein Fußballspiel und die Herren wirken ein wenig wie etwas verwirrte, betrunkene Kolonialherren die vergessen haben warum sie eigentlich hier sind und wo sie wohnen.

Schneider, der neben dem Neuankömmling sitzt und versucht Abstand zu halten, sagt leise zu Julian:

,Diese Typen gehen mir voll auf den Sack.’

Kurz darauf der Mann: ,Wo kommt ihr denn her und was macht ihr hier ? Man trifft hier selten deutsche Zivilisten…’

Schneider, leicht errötet, sagt nichts und Julian springt ein.

Es stellt sich heraus, dass es sich bei den beiden um einen französischen und einen deutschen UN Offizier handelt, die schon seit Wochen in Bamako verweilen und laut eigener Aussage auch nicht genau wissen, was sie hier sollen.

Alles bewege sich sehr langsam und es gäbe keinen wirklichen Plan außer repräsentativ auf neue Befehle von Oben zu warten.

Im Norden bestünde die Gefahr, dass ein neuer, radikaler Islamistenstaat gegründet würde der, bis an die Zähne mit Gaddafis  Waffen bewaffnet (die ihm lange vor seinem Ende von der deutschen und französischen Waffenindustrie günstig verkauft wurden…) die westliche Welt bedrohen könnte. Die UN sei präsent aber würde nicht eingreifen, denn die Situation könnte dadurch eskalieren.

Schneider erzählt etwas davon, dass 40% der US - Bevölkerung den radikal-christlichen Kreationisten angehören würde und das vielleicht miteinander zusammenhängen könnte. Von Kreationismus hat der deutsche UN Offizier noch nie etwas gehört.

Er ist nicht unsympathisch, wirkt aber etwas desolat und trinkt noch ein paar Biere als er sich die Geschichte unserer Reise in Kurzform anhört. Wir fühlen uns irgendwie schon wieder an Apocalypse Now erinnert.

Sidibe Boss kommt mit einem Taxi, das uns zum Flughafen bringen soll.

Wir fahren voll beladen los und nach 2 Kilometern hören wir einen sehr lauten Knall. Einer der hinteren Reifen des 190 D ist geplatzt und wir müssen anhalten. Nachdem der Versuch den Reifen auszuwechseln zu lange dauert, hält Sidibe einen vorbeifahrenden Pickup Truck an, wir laden unser Gepäck auf die Ladefläche und rasen in Richtung Flughafen.

Immer wieder sehen wir nach, ob unser Gepäck noch auf der Ladefläche ist.

Als wir am Flughafen ankommen stellt sich heraus, das unser Flug verspätet ist und wir stellen uns darauf ein, ein paar Stunden in der offenen Vorhalle zu warten und unsere letzten CFA Franc für Kaffee und Zigaretten auszugeben.

Ein Gewitter braut sich zusammen.

Wir sind quasi pleite und können auch nicht auf das mehrfache Angebot eines netten Herren eingehen, die nächsten Stunden in einer klimatisierten VIP Lounge des Flughafens bei kühlen Getränken und Fußball WM im Satellitenfernsehen zu verbringen.

Als Julian noch einmal zum Schalter von Air France geht um Neuigkeiten zu erfahren heißt es, das Flugzeug wäre wegen technischer Komplikationen noch nicht einmal in Paris abgeflogen und unser Flug würde sich um 24 Stunden verzögern.

Danach folgen etwa 2 Stunden Verhandlungen mit Air France über Organisation und Bezahlung einer Hotelübernachtung und Julian kämpft wie ein Löwe dafür, dass wir nicht mittellos die nächsten 24 Stunden im Flughafen verbringen müssen, was die anderen Betroffenen ebenfalls motiviert das Gleiche zu tun und fast eine Revolte auslöst.

Wir fahren im Taxi zum Olympe International Hotel und fallen nach dem Versuch Abendessen zu uns zu nehmen in nervösen Schlaf bei geschlossenen Fenstern und eiskalter, super lauter Klimaanlage.



30 - 06 - 2014


Julian bemerkt beim Frühstück, dass er irgendwo seine Sporttasche mit dreckiger Wäsche, Büchern und sonstigen nicht sehr wichtigen Dingen irgendwo auf dem Weg zum Hotel verloren hat und wir machen uns auf den Weg auf das Hoteldach, um auf den zahlreichen überdachten Terrassen hoch oben über Bamako eine experimentelle Fotosession zu machen, aus der wir nachher einen kleinen, animierten Film arrangieren wollen. Das Hotel besticht durch 60er Jahre Architektur in Plattenbauweise mit Strohdach-Pavillons und ovalen Swimmingpools. Außer uns und etwas Personal ist kein Mensch anwesend und es fühlt sich an als wären wir etwas zu früh auf dem Set von Truman Show gelandet.

Auf dem Dach haben wir noch einmal einen Ausblick über ganz Bamako, sehen halbfertige Rohbauten, die üblichen Blechhütten, kleine Märkte, Parzellen mit Wasserspeichern und Solaranlagen für Gemüseanbau, Müllhalden mit Vögeln und Menschen die dort Verwertbares suchen, viel Verkehr und den blauen Niger in der Ferne. Der Kontrast zum Hotel ist eigenartig und wir wünschen den Menschen in Bamako wirklich, dass es in Zukunft wieder mehr lukrativen Tourismus gibt, denn alles ist gut vorbereitet.

Nachdem wir in der Hotel Lobby einige Stunden Mails gecheckt, Fußball geguckt und zahlreiche Mitglieder irgendeiner UN Versammlung anreisen gesehen haben, geht es gegen späten Nachmittag wieder los mit dem Taxi zum Flughafen, in der Hoffnung jetzt wirklich zurück nach Hause fliegen zu können, denn wir sind von unserer intensiven Reise ziemlich erschöpft.

Am Flughafen steht wieder eine lange Menschenschlange vor dem Eingang, wo sämtliches Gepäck schonmal gescannt werden muss und wir treffen die beiden norwegischen UN Offiziere, die uns schon am Vorabend angeboten hatten doch mit ihnen in ihr Camp zu kommen, sollten wir kein Hotel haben für die Nacht.

Wir warten zusammen bis es weiter geht, und einer der Norweger erzählt uns von der schwierigen Situation in Mali.

Viele der Herren in teuren Anzügen, die mit uns in der Warteschlange stehen, seien reiche Menschenschlepper, die Flüchtlingen erst an die Mittelmeerküste und dann in diesen kleinen Booten rüber nach Italien oder Spanien bringen würden.

Die Flüchtlinge, die die Reise überlebten und irgendwie in Europa Fuß fassen könnten, würden den Rest ihres Lebens 90% ihres wie auch immer gearteten Einkommens an diese Menschenschlepper abdrücken müssen und so sähe die moderne Sklaverei hier in Afrika aus.

Das Bild in Afrika von Europa, wo es Alles für Alle in Überfluss gäbe, würde von diesen Geschäftsleuten der armen Bevölkerung gegenüber vorsätzlich verzerrt und die Flüchtlinge würden von allen Seiten betrogen, den die Realität sähe für sie in Europe ziemlich anders aus als erhofft.

Auch wir hatten des öfteren während unserer Reise das Gefühl, dass das uns in Europa präsentierte Afrika-Bild oft nicht mit unseren Erfahrungen vor Ort übereinstimmen und fragen uns, woran das wohl liegen mag.

Natürlich ist Afrika ein großer Kontinent mit extrem verschiedenen Ländern & Kulturen, aber dass wir wirklich fast keinen Menschen in den 4 Wochen getroffen haben, der nicht total herzlich und hilfsbereit uns gegenüber war, hätten wir vorher wirklich nicht gedacht.

In diesem Moment tippt der Taxifahrer von gestern Abend Julian von hinten auf die Schulter und gibt ihm grinsend seine Reisetasche inklusive gesamten Inhalts zurück, die er anscheinen im Taxi vergessen hatte. Wir bedanken uns herzlich, geben ihm unsere letzten CFA und sind sehr gerührt, denn das würde in Berlin niemals im Leben passieren.

Wir fliegen über Paris zurück nach Deutschland und kommen in Berlin an, das jetzt irgendwie anders wirkt als vor unserer Reise.

Kparr Dire’ - Lernen durch Reisen.

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B L O G


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